65. Die Schlacht um den Norden
Die Schlacht um den Norden begann gleich nachdem die Sonne untergegangen war, unter einem immer noch von Licht erfülltem Himmel, einem Himmel, in dem nur ein paar wenige Sterne zu sehen waren. Sie begann mit einem plötzlichen Angriff durch Redeyes ganze Armee der Wieseneichhörnchen. Sie waren nicht in Kriegsclans aufgeteilt, wie es unter Eichhörnchenarmeen üblich ist, stattdessen war es ein totaler Frontalangriff über die ganze Länge der Schlucht, so als wäre die Wiesenarmee ein einziges Geschöpf mit hunderten von Reißzähnen und Krallen, das versuchte, die ganze Streitmacht von König Thorn mit einer einzigen geballten und überwältigenden Attacke zu überrennen, welche beinahe auch erfolgreich gewesen wäre.
Patchs Kriegsclan war auf der Spitze des höchsten Baumes an der Front stationiert und ihm wurde befohlen, dort zu bleiben, um Patch so die bestmögliche Chance zu geben, Redeye und Sniffer zu entdecken. Patch sah sofort, dass es keine Hoffnung auf Erfolg gab; in der stärker werdenden Dunkelheit sahen all die hunderte sich windenden Eichhörnchen unter ihm identisch aus.
„Hinunter!“ schrie er zu Nighteye hinüber. „Wir müssen gehen und helfen!“
Nighteye zögerte. „Wir wurden beordert, bei dir zu bleiben, bis –“
„Dann bleibt bei mir,“ unterbrach Patch und raste den hohen Ahornbaum hinunter und ins Schlachtgetümmel hinein.
Ohne es zu merken, schaffte er es, von seinem Stamm aus in einen Knoten aus knurrenden Wieseneichhörnchen zu springen – und er wäre ein paar Atemzüge später gestorben, wäre ihm nicht sein Kriegsclan gefolgt und hätte mit atemberaubender Heftigkeit gekämpft. Das anschließende Gewühl aus Reißzähnen und Krallen und Blut und kreischender Wut schien endlos zu sein, solange es andauerte; als es vorbei war, als der gesamte Wiesenkriegsclan tot zusammen mit Nighteye und zwei anderen Kameraden von Patch unter dem sich verdunkelnden Himmel lag, schien es, als hätte es nicht länger als einen Herzschlag gedauert.
Für die meisten von ihnen war diese erste Angriffswelle weniger verheerend, aber ihr allgemeiner Ausgang war derselbe. Thorns Armee wehrte den Wiesenangriff ab, aber zu einem hohen Preis auf beiden Seiten. Als die Wiesen sich zurückzogen, ließen sie die Luft hinter sich angefüllt mit Schreien und Panikgerüchen der verwundeten und sterbenden Eichhörnchen zurück. Patch hörte überdies das gequälte Fauchen von mindestens einer Katze und hoffte, dass es nicht Zelina war.
Die verwundeten Eichhörnchen, die dazu in der Lage waren, humpelten zurück zu König Thorns Hof. Andere wurden von ihren Freunden geschleift. Andere starben dort, wo sie lagen. Die, die noch einsatzfähig waren, warteten und spähten in die Entfernung der Nacht, welche jetzt nur noch durch die fahle Mondscheibe erleuchtet wurde. Ihr silbernes Licht beschien eine plötzliche Explosion der Bewegungen, und ein großes Gebrüll der Betroffenheit und Wut brach unter Thorns Armee aus, als die Wieseneichhörnchen erneut angriffen – diesmal begleitet von scheinbar allen Ratten der Welt, so viele, dass es aussah, als bewege sich der Boden selbst auf sie zu.
„Rückzug!“ hörte Patch. Sharpclaws Stimme. „Zieht euch zurück, oder wir werden überrannt!“
Er, Quicknose und die anderen zwei Überlebenden seines Kriegsclans wichen fast bis zu König Thorns Eiche vor der heranrollenden Welle aus Fleisch zurück; die Schlacht hatte begonnen und Patch verlor jegliches Orientierungsvermögen. Es gab nichts auf der Welt außer einer ununterbrochenen See aufgepeitschten Fells und Fleisches, eine endlose Orgie des Meißelns und Zerrens und Zerreisens mit Zähnen. Quicknose fiel unter zwei Wieseneichhörnchen und Patch kam zu spät zu Hilfe, er kratzte dem einen ein Auge aus und biss dem anderen die Kehle durch, aber sein Freund lag tot in einer sich ausbreitenden Blutlache. Dann waren da weitere Ratten und Eichhörnchen, Patch wusste nicht, ob die letzteren Freund oder Feind waren und der Boden war so voller Blut, dass es war, als watete man durch Schlamm. Patch stürzte und Ratten überrannten ihn, als wäre er einer der Toten. Er schaffte es kaum, sich aus dem blutgetränkten Moorboden zu befreien. Da war ein Baum in der Nähe, er konnte ihn gegen die Dunkelheit sehen, und er sprang zu seinem Stamm hin und schaffte es, ihn auf halbe Höhe hinaufzuklettern, um so eine Bilanz der Situation zu ziehen, während die Schlacht unter ihm weiterwirbelte und wütete. Patch schnüffelte instinktiv in die Luft und erstarrte. Sniffer war in der Nähe.
Er sah sich um, aber alles was er sehen konnte, waren vage und wilde Bewegungen, Eichhörnchen und Ratten, Ratten und Eichhörnchen – warte. Da, genau da, hinter der Front. Am Ende der durch den Mond beleuchteten Sichtweite sprach die größte Ratte, die er jemals gesehen hatte mit zwei Eichhörnchen. Lord Snout, Sniffer und Redeye. Sie standen selbstzufrieden da, so als wäre der Sieg bereits sicher, während die Frontlinie an dem Baum auf dem Patch stand vorbeiwütete, immer näher an König Thorns Eiche heran.
Patch ließ sich auf den Boden fallen und griff an. Er war dem Tode geweiht; alles was er kannte, würde heute Nacht sterben, Freunde, Familie, Kriegsclan, Stamm, Königreich, aber vielleicht könnte er seine schlimmsten Feinde töten, bevor er starb. Er stieß zwei Ratten beiseite, die sich ihm in den Weg stellten und hatte fast die gesamte Strecke zurückgelegt, als ein dichter Haufen aus Ratten zuerst seinen Weg blockierten und ihn dann umzingelten. Patch kämpfte in wirbelnder Ekstase, er biss und kratzte, als wäre er tollwütig und versuchte, zu Snout, Sniffer und Redeye durchzukommen – welche ihrerseits amüsiert, erstaunt und verängstigt aussahen, als sie im zuschauten – aber es waren zu viele, ein halbes Dutzend Ratten waren auf Patch gesprungen und bohrten ihre Zähne in sein Fleisch, sie zogen ihn herunter und drehten seinen Kopf, um seine Kehle für den Todesbiss freizulegen –
– und dann beteiligte sich ein anderes Eichhörnchen an dem Kampf, stürzte sich in die Ratten und ließ die meisten von ihnen von Patch herunterfallen. Es war Silver. Aber während Patchs Mutter die Ratten zerfetzte, die dabei waren, ihren Sohn zu töten, sprang Snout auf sie hinauf, grub seine Klauen in ihre Seite und biss ihr ins Genick. Silver fiel hart auf ihren Bauch. Sie sträubte und wand sich, versuchte, sich zu befreien, aber Snout war zu groß, zu stark. Patch versuchte, benommen und blutend, ihr zu Hilfe zu kommen, aber er war von weiteren Ratten umgeben, ein Fluss aus Ratten war von irgendwoher auf das Schlachtfeld geströmt, sie waren alle um ihn herum, es gab keinen Ausweg.
Dann kreischte er, als sich neue Qualen in seinen Rücken bohrten und er schnappte nach Luft, als der Boden unter seinen Füßen plötzlich von ihm wegfiel und ein starker Wind durch sein Fell fuhr. Nein, kein Wind. Flügelschläge. Er erhob sich über das Schlachtfeld, gefangen in Karmerruks Krallen.
„Nein,“ keuchte er, „rette Silver! Töte Snout! Die große Ratte genau neben mir, du hättest ihn nehmen sollen! Und Sniffer war auch da, und Redeye!“
„Blutiger Mond und verdunkelte Sonne!“ fluchte Karmerruk, während er mit einer schwindelig machend engen Kurve wendete und dann zu einem heulenden Sturzflug hinabtauchte.
„Lass mich runter, geh zurück und hol sie dir!“ sagte Patch.
Karmerruk ließ Patch nicht herunter – tatsächlich ließ er ihn in einen hohen Baum fallen. Patch stürzte durch seine Blätter, stieß sich seinen Kopf hart an einem großen Ast, schaffte es gerade so, einen kleineren zu fassen zu bekommen und hing einen verwirrten Moment lang an ihm herab, bevor er sich an ihm und in Sicherheit hinaufzog. Diese Anstrengung und der Schlag gegen den Kopf waren zu viel für ihn. Die Welt um ihn herum verschwamm gräulich und dann wurde sie dunkel.
Als er wieder zu sich kam, hielt das Geschrei und das Geknurre der Schlacht unter ihm immer noch an. Patch kam torkelnd auf seine Pfoten. Er benötigte einen Moment, um zu realisieren, dass er auf dem Ahorn stand, welchen König Thorn dazu benutzt hatte, um Nahrung zu lagern. Er sah nach unten, bereit dazu, sich wieder in den Kampf zu stürzen – und sah, dass es keine Hoffnung mehr gab. Die Schlacht war so gut wie vorbei.
Unter ihm tobte die letzte Schlacht um die Wurzeln von König Thorns Eiche herum. Zelina und ihre Katzen kämpften verzweifelt mit ihren Rücken dem Stamm zugedreht. Das Territorium des Königs war auf diesen einen Baum geschrumpft und die Ratten waren überall und das schlimmste von allem war, dass ihre Zahl zunahm, im schwachen Mondlicht konnte Patch weitere Verstärkungen sehen, die von allen Richtungen herbeiströmten. Er stöhnte vor Verzweiflung.
Dann blinzelte Patz und kniff seine Augen in Richtung des Bodens zusammen. Etwas an dem Bild unter ihm schien falsch zu sein. Diese Verstärkungen. Er versuchte, seine angestrengten Augen auf die Kreaturen, welche von allen Richtungen in die Schlacht stürmten, zu fokussieren. Ratten waren nicht so groß und rannten nicht mit so großer Geschwindigkeit und flüssigem Anmut –
Patch keuchte. Dies waren keine Rattenverstärkungen. Das waren Katzen. Und da waren Dutzende von ihnen, viele, mehr als hundert, da rannte ein gesamtes Katzenheer in die Schlacht, sie kamen eine um die andere von Norden und Süden und Osten und Westen, sprangen in den Kampf, rissen Snouts Rattenarmee von hinten auseinander und zerfetzten sie wie trockene Blätter.
Patch sah zu, wie sich Snouts Armee angesichts dieses tödlichen und unerwarteten Feindes in ihre Bestandteile auflöste. Zuerst entwirrte sie sich langsam von außen, Dann wirbelte der Kreisel aus Chaos nach innen zur Front hin, wo die Ratten kurz davor standen, die Überreste von König Thorns Armee zu überrennen; und dann, so plötzlich wie ein Blitzschlag, löste sich die gesamte Rattenarmee gleichzeitig auf und zerstreute sich in alle Richtungen wie eine Pusteblume in einem Hurrikan und floh in alle vier Ecken des Mittleren Königreichs.
Patch benötigte einige Zeit, um zu realisieren, dass die Schlacht um den Norden vorbei war.
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