A children's book for adults by Jon Evans
Aus dem amerikanischen Englisch von Sven Räbiger

16. September 2007

63. Eine Armee der Nacht

Später an diesem Tag lagen Patch und Twitch halb kollabiert und halb schlafend auf dem Boden unter König Thorns Eiche.

„Es gibt keine Nahrung mehr,“ sagte Twitch trübsinnig.

Patch nickte.

„Vielleicht falls ich zu dem Ahorn zurückgehe, wird dort Nahrung sein. Vielleicht hat jemand ein paar Eicheln gefunden!“

Patch seufzte. „Ich glaube nicht. Aber wir können nach weiteren Würmern graben.“ Der Boden um sie herum sah pockennarbenartig aus, voll mit Löchern und kleinen Erdhäufen, wo Eichhörnchen genau das getan hatten.

Twitch stöhnte. „Ich will nie wieder einen Wurm essen. Ich denke nicht, dass sie wirklich Nahrung sind, Patch. Ich möchte Eicheln. Oder Tulpenzwiebel. Oh, Tulpen. Vielleicht gibt es im Labyrinth Tulpen!“

Das Labyrinth, ein ummauerter Garten, in dem Menschen Pflanzen und Blumen derart folterten, dass sie sie zwangen, in geraden Linien und scharfen Ecken zu wachsen, welche so unnatürlich waren, dass ihr Anblick schon fast dem Verstand wehtaten, befand sich östlich von König Thorns Hof, ganz am Rand des Mittleren Königreiches.

„Wir können nicht zum Labyrinth gehen. Wir sind umzingelt.“

„Vielleicht können wir uns hinschleichen. Es ist ruhig. Sie greifen nicht an.“

Soweit hatte Twitch Recht. Den ganzen Tag lang hatte es kein feindliches Eindringen gegeben. Patch fragte sich, ob der Feind sich für die finale Schlacht sammelte. Wenn dem so war, würde dies, egal ob sie gewannen oder verloren, sehr wahrscheinlich der Letzte Tag im Leben der meisten Eichhörnchen um sie herum sein, und auch der von Twitch und Patch selbst.

„Patch!“ brüllte eine Stimme, und Nighteye stürmte aus den Büschen hervor und auf sie zu. „Patch, du wirst gebraucht!“

Patch kam auf die Beine, jeder Muskel stramm vor Anspannung. „Was gibt es?“

Nighteye betrachtete ihn für einen langen Augenblick. Es dauerte einige Zeit, bis Patch den seltsamen Ausdruck seines Kommandeurs und seine ehrfürchtige Abwehrhaltung bemerkte. „Es war alles wahr, oder nicht? Alles, was du erzählt hast.“

„Ja. Warum?“

„Sie fragt nach dir.“

„Wer tut das?“

Nighteye sagte: „Die Königin Aller Katzen.“

Und ein breites Grinsen begann, sich auf Patchs Gesicht auszubreiten.

Twitch fragte: „Wer ist das?“

„Eine Freundin von mir,“ sagte Patch. „Wo ist sie?“

Nighteye führte ihn durch die Büsche hindurch und durch das, was von König Thorns Territorium übrig war; ein halbes Dutzend baumbewachsener Anhöhen, auf denen es von erschöpften Eichhörnchen und wartenden Krähen wimmelte. Vom Gipfel des letzten Hügels aus schaute Patch einen sanften Abhang hinunter und über die Schlucht hinweg, hin zu den Bäumen wo Redeyes Armee wartete. Er konnte sehen, wie sie sich in den Ästen und im Schatten bewegten und er konnte sie im Wind riechen. Er roch Verunsicherung unter den feindlichen Eichhörnchen.

Aber vor allem sah und witterte er alte Freunde. Auf einer menschengemachten Betonbrücke, welche die Schlucht überspannte, waren Zelina und sieben andere Katzen, alle von ihnen glänzend und stark; und einer von ihnen, der glänzendste und stärkste von allen, sein helles Fell war mit zahllosen Kampfnarben übersäht, war Alabast. Patch lachte vor lauter Freude und spurtete über das Keinem-Eichhörnchens-Land hinweg und auf die Brücke.

„Patch, oh, dem Mond sei Dank!“ schrie Zelina. „Was geht hier vor sich? Diese Eichhörnchen wollten uns nicht durchlassen und sie stinken nach Ratte.“

„Sie werden von Ratten befehligt,“ sagte Patch. „Ihr König ist auf Lord Snout mondgeschworen. Wir kämpfen hier in einem Krieg. Es ist…“ Er versuchte, die Worte zu finden, um zu erklären, wie schrecklich und endgültig ihre Lage war, wie jedes Eichhörnchen des wahren Mittleren Königreichs zu einem kurz bevorstehenden Tod verdammt war.

„Oh, wie furchtbar. Aber es tut so gut, dich zu sehen. Du siehst…“ Sie schaute ihn prüfend an. „Ach, du liebe Zeit. Offen gesagt, du siehst sogar noch schlimmer aus als an dem Tag, an dem ich dich zum ersten Mal getroffen habe. Ist das Blut auf deinem Gesicht? Patch wirklich, kannst du dich nicht sauber halten?“

„Ich hatte nicht – Zelina, da läuft ein Krieg! Snout will jedes Eichhörnchen im Mittleren Königreich töten!“

„Ja, das habe ich gehört.“ Zelina runzelte die Stirn, als hätte Patch sie an ein unbequemes Detail erinnert. Und dann sagte sie mit einer Stimme, die Patch noch nie zuvor bei ihr gehört hatte, einer Stimme, so sanft und kalt wie Eis, das von Wasser umspült wird: „Und ich empfinde höchstes Missfallen.“

Patch blinzelte.

„Dachte er, ich würde nicht davon hören? Dachte er, ich würde nicht einschreiten? Meine persönliche Freundschaft mit dir einmal beiseite gelassen, ich kann den Ratten nicht erlauben, dieses Königreich zu regieren. Oder wagt er es, sich einzubilden, dass seine weinerliche Rattenarmee und seine mondgeschworenen Verräter sich mir entgegenstellen können? Falls er wirklich versucht zu kämpfen, werde ich ihn persönlich ausweiden.“

Patch starrte Zelina an und fragte sich, ob sie in denselben wahnhaften Zustand, in dem er sie getroffen hatte, zurückgefallen war.

„Hoheit,“ sagte Alabast mit sehr ernster Stimme, „wenn diese Eichhörnchen hinter uns wirklich von Lord Snout angeführt werden, dann sind wir jetzt gerade von einer seiner Armeen eingekesselt. Wenn er erfährt, dass ihr hier seid –“

„Du sagtest, die Boten wurden beseitigt.“ unterbrach ihn Zelina.

„Wurden sie. Aber als euer Kriegsherr und Oberleibwächter muss ich euch raten, nun zu flüchten, bevor Snout von eurer Anwesenheit erfährt und die Schlacht beginnt.“

„Wir werden nicht gehen,“ sagte Zelina scharf.

Alabast lächelte eisern. „So soll es sein.“

Die große weiße Katze drehte sich zu den Wieseneichhörnchen um, welche sie von den entfernten Ästen aus mit großen und besorgten Augen ansahen. Patch blinzelte erstaunt, da Alabasts Bewegung eine andere weißfellige Kreatur enthüllte, klein und mit großen Augen, inmitten Zelinas Katzen zusammengekauert.

„White!“ schrie Patch. „Sonne und Mond und Sterne! Was tust du hier?“

„Sie hat uns hierher gebracht,“ sagte Zelina. „Ich wollte dich sehen, Patch, also sind wir ins Mittlere Königreich gekommen, und wir haben deine Witterung an ihrem Baum gefunden. Sie hat uns vom Krieg erzählt und wo wir dich jetzt finden würden, falls du noch am Leben wärst und sehr freundlicherweise bot sie an, uns hierher zu führen.“

„Ich dachte, dass es vielleicht hilfreich sein würde,“ sagte White leise.

„Ist es,“ sagte Patch.

Aber still in seinem Herzen dachte er, dass es nicht genügend helfen würde. Zelina und sieben kriegerische Kater würden tödlich in der Schlacht sein, sie könnten möglicherweise Dutzende Eichhörnchen und zahlreiche Ratten töten, aber es war nicht annähernd genug. König Thorns Streitmacht war hundertfach in der Minderheit. Vielleicht könnten die Katzen die Niederlage lange genug hinauszögern, so das Karmerruk Redeye und Sniffer und Snout töten konnte bevor alles verloren war – aber selbst diese Hoffnung erschien schwach und verzweifelt. Ihre Armee war zu gewitzt und zahlreich.

„Alabast hat Recht,“ sagte er zu Zelina. „Du solltest gehen, solange du noch kannst.“

„Patch,“ sagte Zelina, „ich schrecke nicht vor Blut und Kampf zurück. Ich bin die Königin Aller Katzen, und meine Pflicht ist es, meine Feinde zu schlachten oder beim Versuch, dies zu tun zu sterben.“

Patch zögerte, dann fragte er sehr leise: „Bist du das wirklich?“

Zelina lächelte leicht und sagte mit genauso leiser Stimme: „Es scheint so.“

„Bring uns zu deinem König,“ schlug Alabast vor. „Wir sind hier draußen ungeschützt. Und ich bin mir sicher, dass Snout in dem Augenblick, in dem er von unserer Ankunft erfährt, angreifen wird.“

„Wann denkst du, wird das sein?“ fragte Patch.

Alabast blickte in die hoch stehende Sonne und sagte beiläufig: „Er wird heute Nacht kommen. Mit jeder Ratte und jedem Eichhörnchen, dass er auftreiben kann. So oder so wird dies alles beim Sonnenaufgang vorbei sein.“

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]


Switch to

Go to the home page.

Jon Evans is the award-winning author of the thrillers Invisible Armies, Dark Places (aka Trail of the Dead), and The Blood Price. See his web site rezendi.com.

Sign up for Jon's low-frequency mailing list:

Powered by Blogger.