58. König Thorn

„Warte!“ keuchte Longtail, als sie sich der großen Eiche näherten. „Warte, du kennst das Passwort nicht!“

Patch wurde langsamer. Es stimmte, er wusste es nicht, und Twitch war nicht mehr im Dienst. Er ließ es zu, dass Longtail im gleichen Tempo mit ihm mitlief, aber er schaute das andere Eichhörnchen nicht an.

„Diese Dinge, die ich gesagt habe, ich habe nur Spaß gemacht,“ sagte Longtail zwischen zwei tiefen Atemzügen. Seine Prahlerei damit, dass er am schnellsten rennen konnte, war offensichtlich nicht wahr. „Wir sind Partner, richtig, Patch? Wir sind Spähpartner, wir müssen aufeinander Acht geben.“

Patch hielt vor den neugierigen Wachen an. „Sag einfach das Passwort,“ sagte er knapp.

Longtail sagte „Jumper.“

Die Wachen nickten und traten beiseite, um sie hochklettern zu lassen. Während er hinaufkletterte, fragte sich Patch, wer den Namen Jumpers, des letzten Lords der Baumkronen, als Passwort ausgewählt hatte, welchen Patch – zumindest gefühlt – vor so langer Zeit gesehen hatte, wie er von Ratten und Redeye aufgefressen wurde.

Auf der Eiche wimmelte es von zahlreichen Eichhörnchen, manche von ihnen hielten Ausschau und bewachten, andere drängten sich auf Ästen in kleinen Gruppen zusammen; der Stamm war eine Schnellstraße aus Fell, da Eichhörnchen an ihm hinauf- und hinabrasten und Nachrichten an und vom Königlichen Hof mit sich trugen. Auf eine Art war diese Eiche die Mitte des Mittleren Königreichs. Patch hatte noch nie zuvor ein solches Gemisch aus Eichhörnchengerüchen an einem Ort gerochen. Doch selbst inmitten dieser dichten Wolke aus Gerüchen stieß einer wie ein grünes Blatt an einem abgestorbenen Baum hervor. Die Witterung von Silver. Seine Mutter war hier, jetzt, auf dieser Eiche.

Patch spurtete geradewegs hinauf, ganz nach oben, während er sich an anderen Eichhörnchen vorbei schob, die ihm den Weg versperren wollten und er Schreie von überall um ihn herum ignorierte, bis er ganz oben in der Baumkrone war, in der sich ein halbes Dutzend Äste trafen und so eine Art Plattform bildeten, und hier stand Silver und unterhielt sich mit einem großen roten Eichhörnchen und einem kleinen Eichhörnchen mit vernarbtem Gesicht, während ein Dutzend anderer ihnen von den umliegenden Ästen aus zuschauten.

Silver hielt mitten im Satz an und drehte sich nach Patch um. Einen Augenblick lang stand sie sehr still da und starrte ihren Sohn an. Ihr Fell glänzte im Sonnenlicht. Sie sah aus, als träumte sie oder als wäre sie gerade aus einem Traum erwacht.

„Es stimmt,“ sagte sie erstaunt. „Du bist tatsächlich am Leben. Oh Patch, oh mein Sohn, du bist am Leben!“

Sie hastete zu ihm und sie drückten sich eng, rieben ihre Nacken und Schwänze aneinander, rochen den Duft des anderen, bis ihr Wiedersehen von einem trockenen Husten unterbrochen wurde.

„Ich hasse es, diese rührende Begegnung zu unterbrechen,“ sagte das kleine Eichhörnchen mit vernarbtem Gesicht, „und ich bin erfreut, dass dein Sohn irgendwie den Krieg überlebt hat, aber wir müssen uns immer noch um wichtige Staatsangelegenheiten kümmern.“

Verärgert schaute Patch zu dem kleinen Eichhörnchen und wollte wissen: „Wer bist du?“

Ein eingeschüchtertes Schweigen ergriff alle Eichhörnchen in Sichtweite. Longtail, der es gerade hinauf in die Krone geschafft hatte, gab ein kleines, entsetztes Winseln von sich.

Das kleine, vernarbte Eichhörnchen sah zu schockiert aus, um zu antworten. Es war das große rote Eichhörnchen neben ihm, das sprach. Er klang amüsiert. „Du hast mich nicht gefragt, Patch, Sohn von Silver, aber zu deiner Information, ich bin Stardancer, Sohn von Swimmer, Baron der Suchersippe, Lord des Nördlichen Stammes. Meine Begleitung hier ist Thorn, Sohn von Shaker, Baron der Starken Sippe, Lord des Ramble-Stammes und wahrer König des Mittleren Königreichs.“

Patchs Kinn klappte herunter. Bestimmt machte Stardancer einen Witz. Dieses kleine Eichhörnchen mit den kleinlichen Mannieren und dem Ausdruck von jemandem, der gerade eine schlechte Made gegessen hat, konnte nicht wirklich König Thorn sein.

Das kleine Eichhörnchen schaute Patch kühl an. „Dies hier ist ein Kriegsrat, Patch, Sohn von Silver, und deine Anwesenheit ist weder erforderlich noch erwünscht.“

„Patch, es tut mir leid, der König hat Recht,“ sagte Silver. „Wir haben hier Pflichten. Redeye und die Ratten kommen. Gehe zwei Etagen hinunter und warte dort auf mich.“

„Ich weiß,“ sagte Patch. „Sie kommen von Westen. Ich bin in Nighteyes Kriegsclan, wir haben gerade mit einer Gruppe Ratten nordwestlich der Großen See gekämpft, deshalb bin ich hierher zur Eiche gekommen. Sie waren im Tageslicht draußen, sie müssen für ihre Armee gespäht haben.“

„Wir werden dies in die Überlegungen einbeziehen,“ sagte Thorn hochmütig. „Jetzt, steige hinab.“

Patch zögerte und blickte zu Silver.

Thorn sagte – und seine Missbilligung schlug nun in Zorn um: „Ich bin dein König, Patch, Sohn von Silver, und ich habe die Neuigkeiten, welche du bringst gehört und dir einen Befehl gegeben. Nicht viele genießen meine persönliche Aufmerksamkeit. Nun hinfort!“

Silver nickte.

„In Ordnung, in Ordnung, ich bin schon hinfort,“ sagte Patch und fühlte sich irgendwie verraten und enttäuscht. Er drängte sich an Longtail vorbei und ging wieder hinunter und dorthin, wo er Eicheln in einem Baumstamm aufgestapelt gesehen hatte, aber das Eichhörnchen dort sagte, die Eicheln wären für die königliche Wache und die Lords, und dass die anderen selbst nach Nahrung suchen müssten.

Trotz des aufblühenden Frühlings war Nahrung in der Nähe des Königshofes knapp, und deshalb war es bereits später Nachmittag, als Patch schließlich mit vollem Bauch zur Eiche zurückkehrte. Seine schlechte Laune verflog praktisch auf der Stelle. Silver wartete auf dem Boden unterhalb ihrer Äste auf ihn.

„Es tut mir leid, Patch,“ sagte sie. „Du weißt gar nicht, wie froh ich war zu hören, dass du am Leben bist. Und das war noch nichts im Vergleich dazu, wie ich mich gefreut habe, dich wieder zu sehen. Ich wollte fortrennen und den ganzen Tag damit verbringen, mit dir zu reden, aber ich konnte nicht, es herrscht Krieg und ich musste beim Rat bleiben.“

„Ich verstehe.“ Patch war gar nicht über sie verärgert, er war böse auf König Thorn, dafür, dass er nicht das weise, mächtige, großartige und großmütige Eichhörnchen war, das Patch sich immer ausgemalt hatte.

„Aber jetzt haben wir Zeit. Komm erzähl mir, wo warst du? Was ist mit dir passiert?“

Patch machte es sich mit seiner Mutter gemütlich und begann, die Geschichte aller seiner vielen Abenteuer zu erzählen. Zuerst hörte sie mit voller Aufmerksamkeit zu und schnappte nach Luft, als sie von Jumpers Tod hörte. Als die Geschichte aber das Mittlere Königreich verließ, bemerkte er schnell, dass sie nur noch mit einem Ohr zuhörte, also sprang er nach vorne und erzählte ihr nur noch Dinge, die wichtig erschienen, anstatt der ganzen Geschichte, nach der zu erzählen er sich sehnte.

„Ich habe nachgedacht,“ sagte er, als seine Geschichte vollständig zusammengefasst war. „Die Dinge, die ich gesehen habe, meine Freunde, wir könnten König Thorn helfen. Karmerruk sagte, er wolle helfen, falls wir ihn finden könnten. Zelina würde auch helfen. Sie mag keine Ratten und sie ist die Königin Aller Katzen, ich meine, irgendwie. Ich dachte auch, Toro könnte Redeyes Armee finden und dann könnte König Thorns Armee das Mittlere Königreich verlassen, um sich an sie heranzuschleichen. Da gibt es einen schmalen Streifen, der um das Mittlere Königreich herumführt, auf welchem Menschen entlanggehen aber keine Todesmaschinen.“

Silver lächelte schwach. „Du warst sehr mutig Patch. Es ist erstaunlich, was du mitgemacht hast. Ich bin so stolz, dass du überlebt hast.“

„Ich habe nicht nur überlebt. Ich denke, ich könnte wirklich helfen. Wenn wir Karmerruk finden können, ist das ein Anfang, stell dir vor, wenn wir einen Bussard auf unserer Seite hätten!“

„Patch – “

„Er will Lord Snout töten. Wenn Snout sich über der Erde sehen lässt, kann Karmerruk ihn einfach aus der Luft aus ergreifen, egal wie viele Ratten ihn umgeben! Und Redeye und Sniffer auch!“

Silver seufzte. „Patch, bitte. Ein Bussard, der auf unserer Seite kämpft? Wir können es uns nicht leisten, unsere Zeit mit Tagträumen zu verschwenden. Wir sind im Krieg. Du hast dein ganzes Leben damit verbracht, zu träumen und herumzuwandern. Und das liebe ich an dir, ich habe es immer bewundert, aber jetzt musst du damit aufhören. Es ist nicht mehr sicher, zu träumen und zu wandern. Longtail hat mir erzählt, wie mutig du heute Morgen gewesen bist, wie du drei Ratten getötet hast, ich bin so stolz auf dich. Und du warst immer schon so pfiffig. Aber jetzt musst du ernst sein und damit aufhören, Träumen hinterher zu jagen. Es tut mir leid, so mit dir zu reden, aber wir kämpfen hier ums Überleben, alle von uns. Falls Redeye gewinnt, werden die Ratten uns alle umbringen. Uns alle, verstehst du? Auch Redeye und die Wiesen. Jedes Eichhörnchen im Mittleren Königreich. Du musst ernst sein.“

„Aber du verstehst nicht,“ sagte Patch, „du hast Alabast nicht kämpfen sehen, die Katzen haben eine ganze Rattenarmee bekämpft und überlebt –“

„Patch. Nein. Du kannst nicht in die Berge gehen, um nach deiner Freundin der Katze zu suchen, die denkt, sie wäre eine Königin. Du kannst zweifellos nicht losgehen, um nach einem Bussard zu suchen. Und was das um den Rand des Mittleren Königreichs herumgehen betrifft, du wirst Thorn oder Sharpclaw nie davon überzeugen, dies zu tun, das ist etwas vollkommen Neues, das ist Ödland, dort gibt es Hunde und Todesmaschinen. Ich sollte es wissen. Ich kam gerade erst aus den Bergen zurück.“

„Bist du das?“ fragte Patch verwundert. „Was hast du dort gemacht? Ich dachte, niemand anderes wäre je zuvor in die Berge gegangen.“

„Ich war jetzt schon zweimal in den Bergen,“ sagte Silver. „Das erste Mal war gegen Ende des Winters, bevor dieser Bussard dich fortgetragen hat. Ich muss dich gerade verpasst haben. Siehst du, ich suchte nach Lord Jumper –“