A children's book for adults by Jon Evans
Aus dem amerikanischen Englisch von Sven Räbiger

26. August 2007

42. Verfolgung des Feindes

Die Unterwelt war schmerzhaft hell. Die Treppe führte in einen großen Raum mit gekachelten Wänden und einem Boden aus Beton hinab. Die schnell flackernden Lampen an der Decke wurden von den weißen Fliesen reflektiert und verursachten Patch Kopfschmerzen. Eine Reihe breiter, kastenförmiger Metalldinge, aus denen Speichen und Stangen hervorragten erstreckten sich über das Ende des Raums, hinter ihnen sah Patch einen weiteren Betonstreifen und dann Dunkelheit. Ein Mensch saß in einem winzigen kistenartigen Gebäude am Ende der Reihe aus Metalldingen. Die Luft hier unten roch alt und seltsam und muffig, und sie war mit Sniffers Witterung durchsetzt.

Es gab reichlich Platz zwischen den Metallkisten. Das Gebiet auf der anderen Seite bestand aus einem Betonstreifen, welcher sich eine beträchtliche Weite lang in beide Richtungen hin erstreckte, aber nur einige wenige Duzend Eichhörnchenschritte hinter den Kisten an einer Klippe, welche in die Dunkelheit hinab fiel, endete. Eine weitere Betonplattform war auf der anderen Seite des dunklen Abgrunds, welcher nach Rauch und Metall roch, zu sehen. In regelmäßigen Abständen waren überall an diesem unterirdischen Ort Pfeiler positioniert worden; eckige Metallpfeiler, welche sich aus dem Abgrund erhoben und runde entlang der Plattform. Patch mochte es nicht, etwas Festes zwischen sich und dem Himmel zu haben, ganz und gar nicht, aber Sniffers Fährte war frisch und führte ihn nach links an der Plattform entlang und hin zu der gefliesten Mauer, an der sie endete. Der Abgrund ging über das Ende der Plattform hinaus und wurde zu einem Tunnel in die Dunkelheit.

Er wurde plötzlich durch ein fürchterliches, schleifendes und kreischendes Geräusch gestoppt, das Entsetzlichste, was Patch je gehört hatte. Es wurde lauter, kam näher, bis seine Ohren tatsächlich wehtaten. Ein starker Wind kam auf. Die Lichter flackerten und eine riesige Maschine tauchte aus dem Tunnel auf. Blitze zuckten unter ihren Metallfüßen und ihre Schreie waren ohrenbetäubend. Sie bestand aus einem Dutzend riesigen, vollwandigen, glänzenden Metallkäfigen, welche alle in einer Reihe aneinandergekoppelt waren und durch ihre vielen Fenster konnte Patch flüchtig ein paar Menschenumrisse sehen. Die Maschine rannte auf einer von vier Reihen Metallschienen entlang, welche am Boden des Abgrundes entlangliefen. Patch war sehr froh darüber, dass sie vorbeikreischte ohne anzuhalten und bald darauf im anderen Ende des Tunnels verschwand.

Er konnte Sniffer immer noch riechen. Er roch außerdem Ratten; viele, viele Ratten. Patch zögerte. Dann folgte er Sniffers Witterung bis zum Ende der Plattform hin. Er ging bis ganz zum Rand des Abgrunds, spähte um die Ecke der Mauer in den Tunnel hinein, und am hintersten Rand seines Sichtfeldes konnte er die Silhouette eines Eichhörnchens sehen, welches von Ratten umgeben war. Er hörte Bruchstücke von Stimmen: „Vögel…Kampf…Schlacht…Streifende“

Dann erstarrte das Eichhörnchen, schnüffelte in die Luft und drehte sich um, um Patch geradewegs anzuschauen.

„Beim Mond und seinen Sternen,“ sagte Sniffer verblüfft. „Patch, Sohn von Silver.“

Patch zuckte vor seiner eigenen Dummheit zusammen. Er hätte wissen müssen, dass Sniffers außergewöhnliche Nase seine Anwesenheit bald entdecken würde. Er stellte fest, dass er keine Ahnung hatte, was er nun, da er Sniffer gefunden hatte, tun würde. Eine Betonrampe führte in den Tunnel hinab, aber er würde Sniffer sicherlich nicht angreifen, nicht mit all diesen Ratten um ihn herum, Ratten mit denen er sich offensichtlich verschworen hatte.

Patch hörte trippelnde Geräusche über sich. Er sah nach oben. Etwas, nein, viele Etwasse bewegten sich entlang des Gerüsts aus Metallträgern, welche hoch über der Plattform gleich unter der Decke hingen. Er erkannte, dass diese Träger als Luftstraßen für Ratten fungierten. Viele, viele Ratten.

Patch drehte sich um und rannte – aber vom anderen Ende der Plattform her und aus kleinen Löchern in der Plattformwand zu seiner Rechten begannen Ratten aufzutauchen, riesige Ratten, die beinahe so groß wie Patch waren und welche ihre Körper verformten und verdrehten, um sich durch die engen Löcher zu quetschen, durch die Patch niemals durchgepasst hätte. Patch hörte ebenfalls Ratten im Abgrund zu seiner Linken herumlaufen.

„Haltet ihn!“ schrie eine Rattenstimme hinter ihm. Eine vertraute Rattenstimme. „Ich möchte mit diesem Eichhörnchen sprechen, bevor er stirbt.“

Eine Wand aus Ratten formierte sich über die Breite der Plattform hinweg, etwa auf zwei Dritteln der Strecke hin zurück zu den Metallkästen. Patch hielt an und schaute sich weitgehend um, versuchend eine Art Fluchtweg zu finden. Es zeichnete sich keiner ab. Ein Fluss aus Ratten strömte vom Abgrund herauf auf die Plattform hinter ihm. Sniffer befand sich unter ihnen. Da waren Ratten über ihm, unter ihm und auf beiden Seiten. Und er erkannte die Ratte wieder, die neben Sniffer stolzierte, die größte Ratte, die er jemals gesehen hatte. Andere Ratten kniffen ihre Augen zusammen und schauten vom Licht und den gefliesten Wänden weg, aber diese Ratte schien unbeeindruckt von Helligkeit zu sein.

„Patch, Sohn von Silver,“ sagte Lord Snout. „Du solltest Bussardfutter sein. Wie kommt es, das du immer noch am Leben bist?“

Patch ignorierte Snout und betrachtete Sniffer. „Du hast sie zu Jumper geführt, oder nicht? Du hast ihnen die ganze Nahrung, welche wir vergraben hatten gegeben, so dass wir verhungern würden. Du hast dem Bussard gesagt, wo er mich finden kann.“

Sniffer sah sehr unbehaglich aus.

„Oder nicht?“ verlangte Patch zu wissen. Seine Stimme war gereizt von Wut und Entsetzen. „Sag es mir! Sag es mir, du Verräter, Mörder, Rattenbruder!“

„Patch,“ sagte Sniffer, „du musst verstehen, alles was ich getan habe war für das Gesamtwohl. Wir konnten nicht mehr so wie früher weitermachen. Gewisse Opfer mussten erbracht werden. Und diese Opfer schlossen Leben ein. Notwendigkeit ist eine grausame Sache. Aber sie kann nicht vermieden werden.“

Sie starrten einander einen Moment lang still an.

„Genug geredet,“ sagte Snout. „Ich nehme an, es spielt keine Rolle wie es kommt, dass du hier bist. Ich versprach dir vor einer Weile, dass ich dir die Augen aus deinem Schädel fressen würde. Jetzt –“

Dann verstummte Snout und machte zwei schnelle Schritte nach hinten. Er starrte an Patchs Schulter vorbei.

Patch drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um den Angriff von Zelina und ihren sieben Katzen sehen zu können.

Die Wand aus Ratten zwischen Patch und den Katzen brach fast augenblicklich auseinander und plötzlich war die Plattform ein kreischender, quietschender Strudel aus Ratten, die in Panik vor den Katzen davonrannten, an Patch vorbei und um ihn herumwuselten, als wäre er ein lebloses Hindernis. Einige Augenblicke lang konnte sich Patch nicht bewegen, die Ratten waren zu dicht um ihn herum.

„Aufhören!“ brüllte Snout. „Im Namen des Unteren Königs, greift an! Greift an und tötet sie alle!“

Die Ratten begannen, sich um Snout herum neu zu formieren, gerade als die Katzen mit ihren vom Rattenblut verschmierten Mäulern und Pranken Patch erreicht hatten. Sie hatten keine Zeit, um wegzulaufen. Snout blies zum Gegenangriff, Sniffer an seiner Seite, und die Rattenarmee folgte ihm.

Patch starrte die Ratte an, die am Nächsten bei ihm war, die Ratte, welche mit aufgerissenen, glänzenden Reißzähnen genau auf ihn zu rannte. Für einen Augenblick war er zu versteinert vor Angst, um zu kämpfen.

Dann sprang Alabast in die nahende Welle aus Ratten. Der große weiße Kater kratzte mit seinen Krallen in die Augen der Ratte, welche auf Patch zukam, während er eine andere biss und zwei weitere mit seinem bleichen, massigen Körper von ihren Beinen holte, dann verwandelte sich der Kampf in einen jaulenden, brüllenden Tumult, ein Chaos aus Blut und Reißzähnen. Patch heulte auch, aus Wut, die genauso schnell wie die Angst in ihm anwuchs auf, und als eine Ratte von der Strömung aus Rattenfleisch hinter Patch in seine Richtung gestoßen wurde, stürzte Patch sich auf sie und biss ihr in die Kehle. Sein Mund füllte sich mit saurem Blut und Patch ließ augenblicklich los und spukte es aus. Die Ratte kreischte vor Schmerz und floh.

Durch das Chaos hindurch sah Patch Sniffer nicht weit von ihm entfernt und Patch fühlte, wie die Wut in ihm wie eine Blume aufblühte, sich zu einer grausamen und furchtbaren Sache wie eine brennende Sonne in seinem Herzen ausdehnte. Er stürmte durch das Meer aus schreienden Ratten hindurch auf das Eichhörnchen, das einmal sein Freund gewesen war zu. Er war nahe, so nahe, dass er Sniffers betroffene und erschrockene Augen sehen konnte und Patch öffnete seinen Mund, um zuzubeißen und stürmte schneller –

Etwas Weißglühendes brannte sich in Patchs linkes Hinterbein. Er brüllte und drehte sich um, um zu sehen, dass Snouts gelbe Reißzähne sich tief in Patchs Fleisch gebohrt hatten. Dann tauchte Alabast über ihnen auf und Snout ließ Patch los und floh vor dem großen weißen Kater. Die Rattenarmee folgte ihrem Anführer und zog sich vom Kampf zurück. Aber kurz danach formierten sie sich in einiger Entfernung erneut.

Ein Dutzend Rattenleichen lagen auf dem Boden und ein weiteres Dutzend, das zwar noch am Leben war, sich aber nicht bewegen konnte, zuckte in seinem Todeskampf und Patch und alle Katzen standen noch aufrecht. Aber da waren immer noch wimmelnde Massen von Ratten auf allen Seiten und alle Katzen bluteten, die meisten von ihnen aus mehreren Wunden. Es war offensichtlich, dass Patch und die Katzen diesen Kampf niemals gewinnen konnten, noch konnten sie sich ihren Weg zurück nach draußen freikämpfen, bevor sie überrannt werden würden.

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Jon Evans is the award-winning author of the thrillers Invisible Armies, Dark Places (aka Trail of the Dead), and The Blood Price. See his web site rezendi.com.

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