A children's book for adults by Jon Evans
Aus dem amerikanischen Englisch von Sven Räbiger

25. August 2007

41. Menschen

Mitten in der Nacht lagen die menschlichen Bürgersteige der Stadt größtenteils, aber nicht vollständig verlassen da. Einige Menschen schwankten nach Vergärung riechend vorbei, während ihre Füße so wahllos auftraten, dass es gefährlich war, sich in ihrer Nähe zu befinden und Patch wunderte sich über die unheimliche Art, wie sie sich auf zwei Beinen bewegten. Einige bewegten sich ruhig, während sie nach vorne schauten und die ganze Welt um sich herum zu ignorieren schienen. Einige – üblicherweise einzelne Menschen oder Paare – gingen in die Hocke, um das Schauspiel von acht Katzen und einem Eichhörnchen, welche durch die Nacht wanderten, dümmlich zu beglotzen. Manche fielen auf den Bürgersteig und lagen wie Raupen in einem Kokon in gewebten Hüllen eingepackt herum, oder sie saßen mit ihren Rücken an Bergwände gelehnt da.

Tief in der Nacht kamen sie an einem dieser sitzenden Menschen vorbei – einem Männchen mit Haaren im Gesicht, welcher von einer herabhängenden Lichtkugel schwach angeleuchtet wurde. Er roch nach Schmutz. Er schien zu schlafen, aber während sie vorbeigingen, öffneten sich diese Menschenaugen und fixierten Patch: und der Mensch sagte in schlechter und gebrochener, jedoch verständlicher Säugetiersprache: „Hallo Eichhörnchen.“

Patch erstarrte vollkommen verblüfft, Zelina und ihre sieben Katzen hielten ebenfalls an.

„Hallo Eichhörnchen,“ wiederholte der Mensch sich. Dieser Ausdruck verlangte keine Pheromone, nur Geräusche, die nickende Bewegung eines Kopfes und eine scharrende Bewegung mit den Vorderbeinen. Die Geräusche und Bewegungen des Menschen waren unvollkommen, aber unmissverständlich.

„Hallo Eichhörnchen,“ sagte er erneut.

„Hallo,“ entgegnete Patch einen Augenblick später. Er war bereit dazu, wegzurennen.

„Hallo Eichhörnchen.“

„Hallo Mensch.“ Patch hätte nie gedacht, dass er jemals diese Worte aussprechen würde.

„Eichhörnchen essen Nahrung?“

Einen Augenblick später sagte Patch: „Ich bin ein wenig hungrig.“

Der Mensch schien verwirrt zu sein – und das war er in der Tat auch, da Hunger ein Begriff war, welcher mittels Pheromonen kommuniziert wurde und Menschen seit langer Zeit diesen Teil der Tiersprache verlernt hatten.

„Eichhörnchen essen Nahrung?“ wiederholte der Mensch.

Patch entschied sich, in gleicher Art und Weise zu antworten. „Eichhörnchen essen Nahrung.“

Der Mensch griff in seine zerlumpten Hüllen und Patch wurde angespannt, aber als die Hand wieder zum Vorschein kam, hielt sie eine Papiertüte, die himmlisch roch. Der Mensch steckte eine Hand in die Tüte und ließ einen Haufen kleiner Samen auf den Bürgersteig fallen.

„Sei vorsichtig,“ warnte Zelina Patch. „Es könnte eine Falle sein. Es könnte Gift sein.“

„Gutes Essen,“ versicherte der Mensch Patch und begann, selbst aus der Tüte zu essen.

Patch starrte den Menschen ungläubig an. Hatte der Mensch tatsächlich Zelinas Warnung verstanden? Und die Art, wie er aß – warum aß der Mensch auf Eichhörnchenart, mit raschen, ruckartigen und sich wiederholenden Bewegungen, während er zwischen den Bissen aufhörte, um schnell hin und her zu schauen? Dieser Mensch bewegte sich und roch sogar ein wenig wie ein Tier, wie eine Kreatur des Instinkts und nicht wie eine Kreatur des Denkens.

Patch fing an, die Samen zu essen. Dann fing er an, sie zu verschlingen. Er war der Meinung, dass er in seinem ganzen Leben noch nie etwas gegessen hatte, das so wunderbar schmeckte.

„Probier mal! Iss!“ sagte er zu Zelina.

Sie nahm einen Mund voll, zerkaute sie und zuckte mit den Achseln; für sie waren sie nichts Besonderes. Aber für Patch war es die beste Nahrung, die ihm jemals begegnet war. Als er fertig war, blickte er den Menschen hoffnungsvoll an und der Mensch ließ eine weitere handvoll Samen fallen und Patch aß, bis kein Platz mehr in seinem Bauch war.

„Gutes Eichhörnchen,“ sagte der Mensch. „Du bleibst, gutes Eichhörnchen? Du bleibst?“

„Nein, tut mir leid,“ sagte Patch mit aufrichtigem Bedauern. „Ich muss nach Hause gehen.“

Heimat war auch ein Pheromonbegriff.

Das Gesicht des Menschen rümpfte sich. „Ich nicht bleiben,“ sagte er. „Ich immer gehen. Ich gehen, ich gehen, ich gehen wieder. Ich immer gehen. Du kommen zurück, Eichhörnchen, Ich sehen dich mehr.“

„Ich sehen dich mehr,“ pflichtete ihm Patch bei.

Beinahe unmittelbar, nachdem sie den seltsamen Menschen verlassen hatten, war Patch kaum mehr fähig zu glauben, das die Begegnung tatsächlich stattgefunden hatte.

„Ich dachte nicht, dass Menschen in der Lage wären, überhaupt mit Tieren zu sprechen,“ sagte er zu Zelina.

Zelina sagte: „Ich habe beinahe mein ganzes Leben unter Menschen verbracht und ich habe niemals zuvor gehört, dass dies je passiert wäre.“

Patch dachte an Siva den Tiger und den ‚Menschenbruder’, von dem Siva gesprochen hatte. Er erinnerte sch selbst daran, Daffa die Taube zu finden und einen Weg zu finden, Sivas Menschenbruder eine Glaskugel zu übergeben, nachdem er ins Mittlere Königreich zurückgekehrt war.

Der Himmel über ihm begann fast unmerklich mit den ersten Schimmern des bevorstehenden Sonnenaufgangs heller zu werden. Patch bemerkte, wie müde er war. Zelina und der größte Kater, dessen Name Alabast war, hielten eine kurze Konferenz ab.

„Alabast sagt, wir werden bald ein Karree mit Bäumen und Gras erreichen,“ sagte Zelina zu Patch. „Wir können dort schlafen. Wenn wir die ganze folgende Nacht hindurch rennen, können wir die Große Prachtstraße vor Sonnenaufgang erreichen und dein Mittleres Königreich liegt nur ein wenig hinter ihr.“

Patch entgegnete nichts. Stattdessen stellte er sich auf seine Hinterbeine, während seine Augen plötzlich groß und in Alarmbereitschaft waren und er erschnüffelte die Luft.

„Patch?“ fragte Zelina. „Patch, hast du mich gehört?“

„Er ist hier,“ sagte Patch. „Beim Vollmond, er ist jetzt gerade hier. Ich kann ihn riechen.“ Er rannte ein wenig mit der Nase auf dem Boden den Bürgersteig entlang, hin zu ein paar gefliesten Stufen, welche in den Untergrund hinabführten. „Seine Witterung ist frisch, er ist gerade erst dort hinunter gegangen!“

„Wer war hier?“ fragte Zelina irritiert. „Über wen sprichst du?“

Patch sagte mit ruhiger aber heißblütiger Stimme: “Sniffer.“

Dann folgte er der Witterung seines Feindes die Stufen hinab in die Unterwelt.

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Jon Evans is the award-winning author of the thrillers Invisible Armies, Dark Places (aka Trail of the Dead), and The Blood Price. See his web site rezendi.com.

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