40. Katzen
Zelina stand umgeben von vier viel größeren Katern auf dem Bürgersteig zwischen einem Berg und einem Baum. Sie blutete im Gesicht und an ihrer linken Flanke. Sie wirbelte schnell im Kreis herum, während sie in die Luft kratzte und versuchte, alle Angreifer auf einmal abzuwehren, aber die anderen vier Katzen kesselten sie ein.
„Aufhören!“ schrie Patch.
Die Fürbitte eines Eichhörnchens war so ungewöhnlich, dass die vier großen Kater tatsächlich aufhörten und sich nach ihm umdrehten.
„Das hier geht dich nichts an, Eichhörnchen,“ sagte einer von ihnen. „Geh zurück auf deinen Baum. Dies ist unser gut gekennzeichnetes Territorium. Sie schickte keine Abgesandten. Sie ersuchte nicht nach Erlaubnis.“
Zelina kauerte sich in panischer Stille zusammen.
„Erlaubnis?“ fragte Patch empört. „Sie braucht keine Erlaubnis! Sie ist die Königin Aller Katzen!“
Einen Augenblick lang waren die vier Kater still vor lauter Verblüffung.
„Rede keinen Unsinn,“ widersprach einer von ihnen unsicher.
„Erzähl uns noch mehr solche Lügen, Eichhörnchen und wir werden auch dir die Gedärme herausreißen,“ warnte ihn ein anderer.
„Das ist keine Lüge,“ sagte Patch. „Ich bin mit ihr tagelang herumgereist. Den ganzen Weg vom Königreich des Ozeans her. Sie ist die Königin Aller Katzen.“
„Die Königin Aller Katzen ist ein Mythos,“ sagte der größte Kater, welcher bleich, sehr stark und mit Narben übersät war. Er hörte sich sehr wütend an – aber gleichzeitig nicht so ganz von seinen eigenen Worten überzeugt.
Die vier Kater drehten sich nach Zelina um, deren kleine Gestalt immer noch in der Mitte des Kreises kauerte.
„Stimmt das?“ fragte der größte Kater. „Behauptest du, die Königin Aller Katzen zu sein?“
Einen Augenblick lang gab es keine Antwort und Patch befürchtete das Schlimmste.
Dann erhob sich Zelina und starrte diesem größten Kater ins Gesicht. Ihr Fell sträubte sich und ihre grünen Augen flackerten wie Flammen. Sie stank nach Blut und Zorn.
„Ich bin die verdammte Königin,“ sagte sie. „Ich bin die verbannte Königin. Ich bin die Königin, welche ihre Untertanen liebt, obwohl diese versuchen, sie umzubringen. Ich bin die Königin, welche töten, töten und noch einmal töten muss, bis die Schnellstraßen mit Blut überströmt sind. Ich bin die Königin, welche mit Tigern spricht. Ich bin die Königin, welche Hunden, Füchsen, Menschen und Ratten entkommen ist, die aber niemals ihrem Schicksal entkommen wird. Ich bin die Königin, welche den Tod, den ihr bringt nicht fürchtet, welche niemals um ihr Leben flehen wird und welche wie eine Königin sterben wird, sogar während ich auseinander gerissen werde. Macht mit mir, was ihr wollt, ihr bösartigen und ignoranten Grobiane, ich bin und ich werde die Königin Aller Katzen bleiben!“
Eine entsetzliche Stille schien über der ganzen Insel zu liegen. Zelina drehte dem Kater, den sie angeschaut hatte, ganz bewusst den Rücken zu und ging langsam zu Patch hinüber, um sich neben ihn zu stellen. Die vier Kater versuchten nicht, sie daran zu hindern.
„Komm,“ sagte sie zu Patch; „lass uns machen, dass wir wegkommen.“
Patch wollte mit Höchstgeschwindigkeit vor den Katern flüchten, aber er folgte Zelinas Führung, und so marschierten sie stattdessen langsam hinfort.
„Wartet!“ schrie einer der Kater.
Patch zögerte, aber Zelinas herrschaftlicher Gang wankte nicht.
„Wartet bitte! Bitte, Eure Majestät, wir waren unwissend! Bitte vergib uns!“
Zelina hielt an und drehte sich zu ihnen um.
„Könnt ihr uns zur Großen Prachtstraße und zum Mittleren Königreich bringen?“ fragte sie.
Die Kater schauten sich gegenseitig unschlüssig an.
„Es ist ein langer Weg,“ sagte der größte von ihnen, “sehr lang.“
Zelina sagte, „Zeigt ihn uns.“
Und kurz darauf fand ein einigermaßen ungläubiger Patch sich und Zelina von vier großen Katern eskortiert die immer noch belebten Schnellstraßen entlanglaufend wieder. Es war sehr seltsam, sich halbblind in der Nacht zu bewegen. Menschliche Lichter blinkten und flackerten überall um sie herum, in Bergen, in Todesmaschinen und von metallenen Bäumen herabhängend. Die Dunkelheit schien Patchs Nase zu schärfen und die schwere und faulige Sinfonie der Gerüche der Stadt besonders hervorzuheben. Wo immer er Ratten roch, roch er zugleich Angst; keine Ratte wollte in der Nähe von fünf Katzen sein.
Sie wanderten die ganze Nacht lang. Als der Tag anbrach, hatten sie ein Areal erreicht, welches größtenteils aus Beton bestand, aber auch kleckerweise aus grünen Stellen und aus ein paar Bäumen. Patch schlief auf einem kleinen Ahornbaum, Zelina und ihr Gefolge blieben unten an seinem Fuß. Als Patch erwachte, hatte die Sonne schon einen großen Teil des Himmels durchschritten und drei weitere Katzen hatten sich Zelinas Gefolge angeschlossen. Es war überaus befremdlich, so spät am Tag aufzuwachen. Sein ganzer Körper fühlte sich unwohl an und er aß fast überhaupt nichts, bevor er den Baum zu seinem Fuß hinabstieg und sie eine weitere Reise durch die Nacht in Richtung seiner Heimat begannen.
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