31. Käfige
Der Mensch packte Patch mit einer Hand, die in dickes Material, welches leicht nach toter Tierhaut roch, eingewickelt war. Patch war zu schwach und zu sehr im Delirium, um zu kämpfen. Er zitterte nur, als seine gefangene Pfote von der Schlinge befreit und er in einen kleinen Metallkäfig gestoßen wurde. Zelina und Talis erfuhren die gleiche Behandlung. Die Menschen – da waren drei von ihnen – gingen besonders behutsam mit Talis um und unterhielten sich eine Weile, nachdem sie Zelina eingesperrt hatten.
Patchs Käfig war groß genug für drei oder vier Eichhörnchen. Er bestand aus einem feinen Geflecht kräftigen Drahtes. Die Wand, die geöffnet wurde, damit er hinein konnte, wurde danach mit Hilfe einer menschengemachten Vorrichtung aus Metall zugeklemmt, welche jedoch ein wenig klapperte, als Patch über den Drahtzaun hinüber zu einem weiteren Menschen gereicht wurde, welcher ihn wiederum auf die Hinterseite einer schlafenden Todesmaschine stellte. Ihr Innenraum stank nach tierischem Schmerz und Angst.
Die Käfige wurden gestapelt, Zelina auf Patch und der auf Talin. Nach einiger Zeit rührte sich die Todesmaschine und begann sich zu bewegen. Patch kringelte sich um sein verletztes Bein und leckte das Blut von seiner Pfote. Er war nicht fähig zu denken, sein Verstand schien in Schlamm festzustecken, er hatte kein Gefühl für Raum oder Zeit, nur ein Gefühl des Schreckens. Ein klein wenig Empfindung kam in seine Pfote zurück, aber diese Empfindung war starker Schmerz.
Irgendwann hielt die Todesmaschine an, ihre Hinterseite wurde geöffnet und Menschen nahmen ein Dutzend leerer Käfige aus ihr heraus. Kurze Zeit später wurden die Käfige zurückgestellt. Die meisten von ihnen enthielten nun Kaninchen, aber da waren auch zwei Eichhörnchen und in einem von ihnen steckte ein Hund, so klein, dass er kaum mehr als ein Baby war. Der Hund wimmerte und blökte den Rest ihrer Fahrt. Die übrigen Tiere blieben still.
Patch fiel nicht nur in den Schlaf, als vielmehr auch ganz von der Erde. Als er sich das nächste Mal seiner Umgebung gewahr wurde, befand er sich nicht länger in einer Todesmaschine. Er war an einem riesigen, dunklen Ort, der überwältigend stark nach Blut roch. Über ihm gab es keinen Himmel, nur Metall und Ziegel. Da waren Hunde in der schattigen Ferne; ihre Stimmen waren fürchterlich, aber er bekam nicht mit, was sie sagten. Patchs Käfig war Bestandteil einer Mauer, die drei oder vier Käfige hoch war und deren Länge Patch nicht kannte. Die Käfige waren alle mit kleineren Tieren belegt – größtenteils Kaninchen, aber inmitten des dichten Gestanks aus Blut und Schmerz und Angstgerüchen konnte er den Geruch von mindestens einem halben Duzend anderen Eichhörnchen ausmachen. Zelina befand sich nun unter ihm und Talin über ihm.
„Was ist passiert?“ flüsterte er Zelina zu. „Wo sind wir?“
„Ich weiß es nicht,“ flüsterte sie zurück. „Oh, mein Bein schmerzt so sehr, dass ich nicht einmal aufstehen kann.“
Patch versuchte, aufzustehen und fand heraus, dass er es konnte – aber der Schmerz, den er dabei verspürte, war so entsetzlich, dass er sich schnell wieder auf den Bauch plumpsen ließ. Er fing an, das Blut von seinem Bein und seiner Pfote zu lecken und versuchte, die Wunde zu reinigen.
Etwas bewegte sich in der Nähe der Käfige. Eine Ratte. Eine große Ratte, und für einen Augenblick erstarrte Patch, aber es war nicht Snout.
„Bald werden wir auch euer Blut schlürfen,“ sagte die Ratte zu den Tieren im Käfig und fiepte laut, während sie lachte.
Weitere Ratten, Dutzende von ihnen, kamen aus Löchern in der Mauer hinter der Käfigwand hervor, krabbelten um die Wand herum und liefen in Richtung der Mitte des Raums, hin zum stärksten Blutgeruch.
„Was ist das für ein Ort?“ fragte Patch kraftlos. „Was ist mit dem Himmel passiert?“
„Wir sind in einem Gebäude,“ sagte Zelina. „Ich bin noch nie zuvor in einem so großen Raum gewesen.“
Patch schnappte nach Luft, als er begriff. Er war tatsächlich im Inneren eines menschlichen Berges. Wie in einem Kobel innerhalb eines Baumes zu sein. Menschen hatten sie gefangen, eingesperrt und sie in einen Berg gebracht. Aber warum?
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Helle Lampen gingen an der Decke an. Lampen, die so schnell flackerten, dass Patch davon bald Kopfschmerzen bekam. Die Ratten flohen in die Dunkelheit, fort aus dem gewaltigen Raum, welcher sich durch die plötzliche Ausleuchtung offenbarte, ein Hohlraum, welcher so groß war, dass er mehrere große Bäume umfassen hätte können - dass heißt, falls sie umgefallen waren wären, da seine Decke, während er eine sehr große Länge und Breite besaß, niedriger war als die Höhe eines kleinen Baums. Die Nähe dieser Wand zwischen ihm und dem Himmel ließ Patch noch entnervter und verängstigter werden.
Es gab noch mehr Käfige, weit weg auf der gegenüberliegenden Seite des Raums. Aber diese Käfige waren viel größer, sie enthielten knurrende, geifernde Hunde, bis auf einen, der…etwas anderes beinhaltete, etwas sehr großes. In der Mitte des Raums umgaben Reihen von Bänken einen kreisförmigen Drahtzaun. Dieser Zaun wiederum umschloss eine freie Fläche, von der der Blutgeruch ausging. Das Blut war sogar sichtbar, in dunklen Flecken auf dm Boden verschmiert.
Menschen begannen einzutreten, viele von ihnen, bis die Bänke gefüllt waren. Zwei von ihnen gingen zu den Hundekäfigen und holten zwei der Hunde heraus, indem sie sie an aus massivem Metall gefertigten Leinen hielten. Die Hunde knurrten sich gegenseitig an, während sie in die Mitte des Raumes geführt wurden:
„Bettle! Winsle! Blute! Stirb!“
„Kosten dein Fleisch! Essen dein Herz! Trinken dein Blut! Nagen deine Knochen!“
Nachdem sie innerhalb des Zauns freigelassen wurden, kämpften die Hunde gegeneinander, bis der eine schwer verletzt und der andere fast tot war. Während des Kampfes hüpften die Menschen herum, brüllten sich gegenseitig an und schrieen vor Jubel. Schließlich trennten die Menschen die Hunde voneinander und schleiften sie zurück in ihre Käfige.
Ein anderer Hund wurde aus seinem Käfig gebracht. Dieser war der größte Hund, den Patch jemals gesehen hatte, so groß wie die zwei Menschen, die ihn auf den Todesplatz führten. Er stolzierte selbstbewusst zwischen den Blutflecken hindurch und brüllte: „Ich töten! Ich töten! Ich töten! Ich töten!“
Und dann wurde der große Hund plötzlich still. Die zwei Menschen hatten eine weitere Käfigtür geöffnet, diejenige, die zu dem komischen Ding führte, das kein Hund war. Unglaublicherweise war es eine Katze. Patch hätte sich nie träumen lassen, dass es so gewaltige Katzen auf der Welt gab. Die größten Tiere, die Patch je gesehen hatte, waren die Pferde gewesen, welche manchmal Menschen durch das Mittlere Königreich trugen; diese Katze sah beinahe so groß aus. Ihre Zähne waren so groß wie Patchs Kopf. Ihr Fell war orange und schwarz. Als sie mit musikalischer Anmut durch den Raum stolzierte, durchwehte ihr Duft die Luft, ein brennender, fiebriger Duft voll wildem Zorn. Er war vollkommen anders, als alles, was Patch je gerochen hatte – außer vielleicht dem komischen, hundeartigen Ding im Mittleren Königreich an dem Tag, als er in die Berge reiste.
„Du meine Güte,“ sagte Zelina stimmlos unter ihm. Sie stand in ihrem Käfig, um besser sehen zu können, der Schmerz in ihrem Bein war vergessen. „Oh, er ist schön wie der Mond!“
Als das Katzending den Todesplatz betrat, winselte der Hund und kauerte am Boden. Ein Mensch berührte den Hund mit einem Stab, es gab ein knisterndes Geräusch und den Geruch eines Blitzes. Der Hund sprang auf die Beine, er schrie vor Schmerz und Wut, und der Kampf begann. Das Gebrüll und der Jubel der Menschen dauerten nicht lange. Das Katzending riss dem Hund die Kehle heraus, ließ sich auf dem Todesplatz nieder und begann zu essen. Die Menschen beobachteten dies so aufmerksam, wie sie den Kampf verfolgt hatten.
Schließlich marschierten die meisten Menschen aus dem Raum hinaus. Die zwei, die blieben, gingen zu den kleinen Käfigen hinüber, und viele der Tiere in ihnen begannen, vor Schreck zu schreien und um sich zu schlagen und alle Käfige erzitterten durch ihre verzweifelte Angst. Die Menschen nahmen viele der Käfige, vielleicht ein fünftel von ihnen und trugen sie durch den Raum, und wie Patch mit sprachlosem Entsetzen beobachtete, wurden die kleineren Tiere in die Hundekäfige gelegt. Die meisten der Hunde verschwendeten keine Zeit beim Töten und Verspeisen ihrer Kaninchen und Eichhörnchen, aber einige von ihnen schienen es gelernt zu haben, sich am Quälen ihrer Opfer zu erfreuen und zögerten ihren Tod noch eine Weile hinaus.
Die Menschen fingen das Katzending mit Stahlleinen ein und führten es zurück in seinen Käfig. Dann teilten sie die mit Blut voll gesogenen Fleischlappen, die alles waren, was vom Gegenspieler des Katzendings übrig geblieben war, und verfütterten auch sie an die Hunde im Käfig. Nachdem sie den Raum verlassen hatten ging das Licht aus. Patch war allein in seinem Käfig, im Dunkeln, umgeben vom verängstigten Winseln der Tiere um ihn herum und dem entfernten Knurren der Hunde.
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