A children's book for adults by Jon Evans
Aus dem amerikanischen Englisch von Sven Räbiger

11. August 2007

27. Die Schnellstraßenbrücke

Als Patch aufwachte, war Waterwatcher verschwunden und Zelina schlief noch. Patch stand eine zeitlang über der Katze. Er wusste, dass er sie zurücklassen und alleine weitergehen musste. Sogar wenn sie die Königin Aller Katzen war, würde sie nur Probleme bereiten und ihn langsamer machen. Aber er fühlte sich ein bisschen schuldig, als er die Luftstraße alleine bestieg.

Sein Schuldgefühl währte nicht sehr lange. Genauso wenig seine Einsamkeit. Denn noch bevor die Sonne mehr als ein Viertel ihres Weges den Himmel hinaufgewandert war, hörte Patch schlürfende Tictictic-Geräusche hinter sich: Zelinas Krallen auf dem Drahtseil der Luftstraße.

„Sehr fürsorglich von dir, mich ausschlafen zu lassen,“ sagte sie fröhlich, während sie ihn einholte.

Patch stöhnte innerlich und lief weiter.

Die Luftstraße führte ostwärts, genau wie die Küste nördlich von ihnen. Eine andere Küstenlinie war noch weiter nördlich, jenseits des Großen Wassers zu sehen und von diesem Land aus ragten in nordwestlicher Ferne die Berge des Mittleren Königreichs empor. Sie näherten sich langsam der Brücke, welche sich zu ihrer Linken über das Große Wasser hin zur andern Seite des Kanals erstreckte. Als sie mit ihr auf gleicher Höhe waren, betrachtete sie Patch mit einem einzigen suchenden Blick und ging dann weiter ostwärts.

„Was machst du da?“ fragte Zelina.

„Wenn wir geradeaus gehen, können wir zur in gegebener Zeit das Wasser umgehen,“ erklärte Patch.

„Wir können es jetzt sofort überqueren. Hier ist eine Brücke.“

„Wir können diese Brücke nicht überqueren. Schau sie dir an. Auf ihr wimmelt es von Todesmaschinen.“

„Automobile,“ korrigierte sie ihn. „Und nicht überall. Schau nach rechts.“

Patch schaute noch einmal hinüber und zögerte. Es stimmte, dass es ganz rechts auf der Brücke einen kleinen Betonweg gab, welcher zu schmal für eine Todesmaschine war. Aber der Gedanke daran, ihn entlang zu gehen, ließ sein Fell zu Berge stehen. Beton war Ödland, etwas, dass nach Möglichkeit zu vermeiden und wenn notwendig zu überqueren war, nichts, das man als Pfad verwenden sollte.

„Nein,“ sagte er.

„Bist du verrückt? Die Luftstraße führt von der Stadt weg. Die Brücke führt direkt dorthin.“

Das war auch wieder wahr. Aber – „Nein. Es ist keine gute Idee.“

„Warum?“

Patch suchte nach einer Antwort. „Es gibt keinen Ort, zu dem man hinrennen könnte. Was, wenn ein Hund kommt? Oder ein Falke? Es ist eine Brücke für Menschen. Sie ist nicht für Tiere gemacht.“
„Ich habe keine Angst.“

„Ich gehe auf der Luftstraße weiter. Du kannst machen, was dir gefällt.“

„Dieses werde ich tun,“ sagte Zelina. „Ich werde diese Brücke überqueren.“

„Fein.“ Patch wanderte weiter.

Aber er war noch nicht weit gegangen, als er langsamer wurde und anhielt. So sehr er auch hasste, es zuzugeben, Zelina hatte Recht. Die Luftstraße führte vom Mittleren Königreich weg. Patch dachte, sie würde irgendwann einmal die Richtung ändern und ihm erlauben, um das Wasser herumzugehen – aber eigentlich wusste er das überhaupt nicht. Falls er weitergehen würde, gäbe es auf seinem Weg vielleicht eine Vielzahl von Hindernissen, welche viel schwieriger als ein Betonweg ohne Todesmaschinen waren. Und während die Gefahr durch Falken oder Hunde auf der Brücke zwar real war, war sie dennoch klein.

Patch seufzte und kehrte um. Er schloss zu Zelina auf, als sie gerade einen ungeschickten und komplizieren Abstieg von der Luftstraße vollführte; ein Abstieg, der zwei Bäume, ein Haus, eine Mauer und mehrere menschengemachte Dinge unterhalb der Mauer einschloss. Patch rannte einfach einen der toten Baumstämme der Luftstraße hinab und gesellte sich zu ihr.

„Es freut mich zu sehen, dass du zu Verstand gekommen bist, Patch, Sohn von Silver,“ sagte sie. „Folge mir.“

Um zur Brücke zu gelangen, mussten sie zuerst zwei der Ödlandstreifen, welche Zelina „Schnellstraßen“ nannte, überqueren, aber das war kein Problem, es waren nur wenige Todesmaschinen und noch weniger Menschen zugegen. Sobald sie an der Brücke waren, wollte Patch warten und die Umgebung begutachten, aber Zelina ging weiter. Nach einem zögernden Augenblick folgte ihr Patch. Er wollte diese Brücke nicht alleine überqueren.

Er hatte sich an das Gefühl von Beton unter seinen Pfoten gewöhnt, aber er hatte den überwältigenden Drang, vom Ödland wegzukommen anstatt auf ihm entlangzugehen. Sobald sie an dem Weg mit seinen Betonwänden, die sich auf beiden Seiten des Betonbodens erhoben, ankamen, fühlte Patch, wie das Entsetzen begann, an seinem Verstand zu nagen. Die wände waren zu hoch, um auf sie zu springen und zu glatt, um sie zu erklettern. Alles, was er sehen und fühlen konnte, war Beton. Seine Muskeln zitterten vor Angst, er wollte umdrehen und um sein Leben rennen – aber Zelina ging weiter, in der Tat schlenderte sie lässig vorwärts. Patch konzentrierte sich auf sie, auf ihren Anblick und Geruch und folgte exakt ihrem Weg, schwer atmend und versuchend, nicht in Panik zu geraten.

Die Brücke spannte sich wie ein Regenbogen über das Wasser. Sie waren gerade an ihrem höchsten Punkt vorbeigewandert, als Patch sah und roch, dass sich ihnen zwei Menschen näherten. Er kniff seine Augen zusammen, so dass sie nur noch halb geöffnet waren und zwang sich, weiterzugehen. Die Menschen hielten abrupt an, als wären sie erschrocken. Als Patch und Zelina an ihnen vorbeiflitzten, beobachteten die Menschen sie genau und grollten sich gegenseitig laut mit ihren seltsamen Stimmen an. Patch glaubte nicht, einem Menschen jemals zuvor so nah gewesen zu sein. Zumindest waren sie nicht in Begleitung eines Hundes.

Er war so stark auf seine Umgebung und nicht auf sein Ziel fokussiert, dass das Ende der Brücke sehr überraschend für ihn da war; die Mauer zu seiner Rechten bestand plötzlich aus Drahtseilen statt aus Beton und hinter ihr lag grünes Gras. Patch kletterte unverzüglich hinauf und hinüber. Zelina ging auf dem Beton weiter, bis sie auf der gegenüberliegenden Seite des Drahtzauns den Endpunkt einer menschlichen Luftstraße erreichten. Sie hatten die Brücke überquert.

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Jon Evans is the award-winning author of the thrillers Invisible Armies, Dark Places (aka Trail of the Dead), and The Blood Price. See his web site rezendi.com.

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