A children's book for adults by Jon Evans
Aus dem amerikanischen Englisch von Sven Räbiger

3. August 2007

19. Daffa

Während Patch auf der Draht-Luftstraße durch die Menschengefilde reiste, sah oder roch er von Zeit zu Zeit Katzen, Kaninchen und Waschbären und jedes Mal war er versucht, anzuhalten und ein Gespräch anzufangen, da er verzweifelt vor lauter Einsamkeit war. Aber Kaninchen waren zu dumm, um ein Gespräch mit ihnen aushalten zu können und Katzen und Waschbären waren gefährlich. Er kannte sie vom Mittleren Königreich her und während sie keinen Grund dazu hatten, ein vorbeikommendes Eichhörnchen anzugreifen, hatten sie genauso wenig Grund, dies nicht zu tun. Die kleineren von ihnen konnten fast genauso schnell wie Patch auf den Draht-Luftstraßen entlang rennen und schlimmstenfalls konnten auch sie vom Wahnsinn befallen sein. Es war das Beste, sich schnell fortzubewegen und mit niemandem zu sprechen.

Er hatte eine Menge seltsames Verhalten gesehen, seit er die Menschengefilde betreten hatte. Während er die Betonstreifen unter sich betrachtete, bemerkte er zum ersten Mal, dass Menschen tatsächlich in Todesmaschinen fuhren und er wunderte sich darüber, wie zwei Spezies sich auf einen solchen Handel einlassen konnten. Er hatte Menschen, welche nach Schweiß und fürchterlicher Erschöpfung rochen, die Straße entlang rennen sehen, obwohl sie weder etwas hinterher jagten noch von etwas gejagt wurden. Aber das allermerkwürdigste Ding sah Patch am achten Tag seiner Reise.

Was er sah, als er auf einem der Himmelsseile saß, war einen Menschen mit dunkler Haut, der auf einem Flachdach eines Hauses stand, während er einen großen abgebrochenen Ast eines Baumes hielt und diesen in langsamen Kreisen um sich herum schwang. Und am Himmel über ihm flog ein Schwarm aus Hunderten von Tauben in Kreisen um das Gebäude herum und zwar in derselben Richtung und mit derselben Geschwindigkeit wie der Ast des Menschen; es sah in der Tat so aus, als besäße der Ast eine unsichtbare Verlängerung und wäre mit dem Schwarm verbunden und als würde der Mensch ihn wie Hunde an der Leine halten und seine Bewegungen kontrollieren. Er konnte die Vögel etwas, dass wie "Kabooti kabooti kabooti“ klang, singen hören. Das Wort sagte ihm nichts.

Während Patch sich wunderte, ob auch die Menschen unter dem Fluch des Königreichs des Wahnsinns litten, flatterte eine der Tauben geschwächt vom Schwarm weg und setzte sich nicht weit von ihm auf das Drahtseil.

„Was macht ihr da?“ fragte Patch die Taube in der Vogelsprache. Er erwartete nicht wirklich eine verständliche Antwort, aber die acht Tage des Alleinreisens hatten ihn so einsam werden lassen, dass ihm sogar eine einseitige Konversation angenehmer als Stille erschien.

„Du meine Güte,“ schnaufte die Taube. „Du meine Güte. Ich dachte, ich würde sterben. Ich bin nur gekommen, um zuzuschauen, aber dann war ich im Schwarm drin. Ich dachte, ich würde sterben.“

„Wer bist du?“ fragte Patch hoffnungsvoll. Diese Taube hörte sich nicht verrückt an.

„Ich bin Daffa. Wer bist du?“

„Ich bin Patch, Sohn von Silver, aus der Suchersippe, vom Baumkronenstamm, aus dem Mittleren Königreich,“ sagte Patch.

„Du lieber Himmel, du bist weit weg von Zuhause, hab ich recht?“

„Du hast vom Mittleren Königreich gehört?“

„Ich bin aus dem Mittleren Königreich,“ sagte Daffa. „Ich bin hierher geflogen. Wie bist du hierher gekommen?“

„Ich nehme nicht an, dass du einen Bussard namens Karmerruk kennst.“

Daffa machte zwei erschrockene Hopser von Patch weg. „Ist er hier?“

„Nein,“ sagte Patch. „Ich habe mich auf einen Handel mit ihm eingelassen, aber er hat mich hereingelegt und mich hier zurückgelassen, und er ist zum Mittleren Königreich zurückgeflogen.“

Daffa sah erleichtert aus.

„Kennst du einen Bluejay namens Toro?“ fragte Patch.

„Ich denke nicht.“

„Gehst zu zurück zum Mittleren Königreich? Kannst du ihn finden und ihm eine Nachricht von mir zukommen lassen?“

„Kannst du mir sagen, wo er ist?“ fragte Daffa.

Patch überlegte. „Nicht genau. Aber du kannst dich durchfragen…“

„Ich bin nicht besonders gut darin, mir solche Dinge wie Nachrichten zu merken,“ gab Daffa zu. „Tatsächlich kann ich mir nur Gesichter und Orte merken. Ich kann exakt zu jedem Ort gehen, an dem ich jemals gewesen bin. Aber ich bin nicht gut bei Nachrichten. Eines Tages sagte ein dicker Kater zu mir, ich solle eine Nachricht überbringen. Er hatte genau wie du die Vogelsprache gelernt. Ich hab vergessen, wie die Nachricht lautete. Aber ich kann wann immer ich will geradewegs zu diesem dicken Kater zurückgehen.“

„Eine Katze hat die Vogelsprache gelernt?“ fragte Patch fasziniert. „Ich dachte, Katzen würden Vögel fressen.“

„Dieser Kater was anders.“

„Warum bist du hierher gekommen?“ fragte Patch.

Daffa senkte den Kopf und seufzte. „Ich suche nach meinem Zuhause.“

„Du suchst nach deinem Zuhause? Aber ich dachte, du könntest exakt – “

„Ich verstehe es genauso wenig,“ sagte Daffa traurig. „Ich hatte zwei Heime. Normalerweise würde ich zum einen gehen, und die Menschen würden mir ein Band um mein Bein binden, und ich würde zum anderen fliegen, und sie würden das Band abmachen und mir wundervolles Essen geben. Es machte so großen Spaß. Aber eines Tages wurde ich durch ein starkes Gewitter abgetrieben. Und als ich zurückkam, konnte ich keines von beiden Heimen wieder finden. Der Sturm muss mich durcheinander gebracht haben.“

„Wann ist das passiert?“ fragte Patch. Er konnte sich nicht an einen Sturm in jüngster Zeit erinnern.

„Ich weiß nicht. Ich kann auch nicht so gut mit Zeit umgehen. Aber wann immer es auch war, seither bin ich herumgeflogen, um nach meinem Zuhause zu suchen. Darum bin ich hier. Dann sah ich den Schwarm und fragte mich, was er tat. Aber dieser ganze Schwarm ist verrückt!“

„Was sagen sie da? Kabooti kabooti kabooti, was bedeutet das?“

„Das bedeutet gar nichts.“

„Willst du mit mir kommen?“ fragte Patch. „Ich gehe zu dem Übergang. Du kannst mit mir kommen und nach deinem Zuhause suchen.“ Er nickte in Richtung der in der Ferne sichtbaren blassgrauen Türme.

„Oh, die Brücke,“ sagte Daffa. „Aber wir können nicht zusammen gehen. Ich fliege und du kriechst.“

„Ich krieche nicht!“ sagte Patch entrüstet. „Ich gehe und ich renne.“

Daffa zuckte mit den Schultern als wollte er sagen, dass er den Unterschied nicht kenne. „Vielleicht komme ich dich besuchen, falls ich dich sehe. Wie sagtest du, war dein Name noch gleich?“

„Patch, Sohn von Silver, aus der Suchersippe,“ begann Patch, aber Daffa hatte schon damit begonnen, in dem Himmel aufzusteigen.

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Jon Evans is the award-winning author of the thrillers Invisible Armies, Dark Places (aka Trail of the Dead), and The Blood Price. See his web site rezendi.com.

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