A children's book for adults by Jon Evans
Aus dem amerikanischen Englisch von Sven Räbiger

19. Juli 2007

4. In den Bergen

Patch stand unter dem Baum, der die äußerste Grenze des Mittleren Königreichs markierte und starrte entsetzt auf das Ödland, welches zwischen ihm und den nächstgelegenen Bergen lag. Todesmaschinen brausten brüllend und knurrend in beide Richtungen vorüber; sie rasten mit einer solchen Geschwindigkeit, dass Patch die Luftbewegung ihres Fahrtwinds spüren konnte. Manchmal hielten sie an, um sich in Rudeln zu sammeln, dann bewegten sie sich plötzlich alle gemeinsam sprunghaft vorwärts. Auf jeder Seite des Ödlandes ragten metallene Baumstämme aus dem Beton und in ihren schillernden Ästen hingen ständig wechselnde Lichter. Patch wusste von früheren Experimenten, dass er nicht auf die Metallbäume klettern konnte. Sogar Eichhörnchenkrallen fanden keinen Halt in ihrer glänzenden, glatten Rinde.

Zumindest sah er keine Hunde und nur ein paar Menschen. Aber von der Stelle, an der er stand, schien seine Absicht nicht nur gefährlich, sondern geradezu verrückt zu sein. Bestimmt war es besser, die Baumkronen zu verlassen und den Wiesen den Treueid zu schwören, als in den sicheren Tod des Ödlandes zu springen. Patch drehte sich um und ging ein paar Schritte zurück in Richtung Tufts Kobel.

Dann hielt er an, drehte sich um, hob seinen Kopf und schaute erneut auf das Ödland. Er hatte soeben bemerkt, dass etwas rhythmisches in der Art und Weise lag, wie die Todesmaschinen sich bewegten. Da gab es ein Muster. Dasselbe Muster wie das der sich ändernden Lichter oben am Himmel.

Er dachte an das, was Toro ihm erzählt hatte. Haufen und Flüsse voll Nahrung, die darauf warteten, gegessen zu werden. Patch konnte keine Nahrung riechen. Er konnte fast überhaupt nichts durch die fauligen Rülpser der Todesmaschinen riechen. Die Todesmaschinen, die anhielten sobald die Lichter wechselten, hielten vielleicht, aber nur vielleicht lange genug, damit ein Eichhörnchen über das Ödland hinüber hüpfen konnte.

Hunger spielt dem Verstand Streiche. Als Patch bemerkte, dass er tatsächlich in Richtung der Berge rannte und dies nicht mehr nur in Betracht zog, hatte er bereits über die Hälfte des Ödlandes bewältigt. Der Beton unter seinen Pfoten war hart und kalt. Die verschiedenen Menschen auf der Bergseite des Ödlandes hörten auf, sich zu bewegen und drehten ihre Köpfe, um Patch anzuschauen. Das war nicht gut. Aber er war bereits zu weit gegangen, um umzudrehen. Die Todesmaschinen würden ihn zermalmen, wenn er das täte. Seine einzige Hoffnung bestand darin, weiter zu rennen. Er rannte so angestrengt und schnell, dass er, nachdem er das Ödland überquert hatte, um ein Haar mit dem Kopf voraus gegen den Berg gerannt wäre.

Patch hielt gerade noch rechtzeitig an und sah sich um, atemlos und verblüfft über das, was er gerade getan hatte. Nun, da er seinen Zielort erreicht hatte, wusste er nicht, was zu tun war. Dies war eine neue und fremde Welt. Der Boden war ganz aus Beton, er konnte nicht einen einzigen Grashalm auf dieser Seite des Ödlands sehen. Der Berg vor ihm war eine vollkommen senkrechte Mauer aus Stein, die sich viel höher als jeder Baum in den Himmel erhob. Da war Ödland auf zwei Seiten; hinter ihm die breite Barriere, die er gerade überquert hatte und die von Todesmaschinen wimmelte und zu seiner Rechten ein schmalerer Ausläufer, welcher tiefer in die Berge führte und der nur mit stehenden Todesmaschinen auf beiden Seiten besetzt war. Patch fragte sich, ob sie tot waren oder nur schliefen. Er hoffte darauf, dass sie tot waren. Zumindest gab es ein paar Bäume entlang der Seite dieses schmaleren Ödlandes, obwohl sie klein und verdorrt und ihre Stämme mit Backsteinen eingegrenzt waren und sie so weit auseinander lagen, dass es keinen Luftweg gab. Zwischen einigen Bäumen in der Ferne sah Patch mehrere Stapel von etwas, das wie große, glänzende schwarze Steine aussah.

Es gab keine anderen Tiere, nur einige vorbeigehende Menschen. Aber während sich diese Menschen zwar Patch nicht näherten, schienen sie doch ihre Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken. Dies machte ihn sehr nervös. Menschen waren riesig und unberechenbar. Manche Menschen, die das Mittlere Königreich betraten, verstreuten Essen überall um sich herum, aber die jüngeren Menschen versuchten oft, Eichhörnchen zu attackieren und alle von ihnen rochen unglaublich seltsam.

Patch erschnüffelte die Luft. Neben den dichten, ätzenden Ausdünstungen der Todesmaschinen und den fremdartigen Düften der Menschheit roch er Gefahr. Er roch Hunde. Von Windwärts, von Norden, auf der gegenüberliegenden Seite des schmalen Ödlands, näherten sich drei große Hunde, die an einen alten Menschen angeleint waren. Patch hoffte, das Ödland würde sie zurückhalten – aber als er hinschaute, begannen die Hunde, es zu überqueren. Und dann sah der Leithund Patch und seine Augen leuchteten auf wie Flammen.

„Töten dich und fressen dich!“ heulte er verzückt. „Töten dich und fressen dich!“

Die anderen Hunde stimmten ein. „Töten dich und fressen dich! Töten dich und fressen dich! Töten dich und fressen dich!“

Patch hielt nicht an, um zuzuhören. Hundekonversation war immer gleich. Patch kletterte auf den nächstgelegenen dürren Baum und hetzte geradewegs zu seiner Krone hinauf.

„Töten dich und fressen dich! Töten dich und fressen dich! Töten dich und fressen dich!“ heulten die Hunde ihn an, während sie versuchten, ihren Menschen in Richtung des Baumes zu ziehen. Aber der Mensch war trotz seines Alters eine massive Kreatur und zu Patchs Erleichterung zog er die mörderischen Hunde mit sich, bis sie ums Eck des Berges verschwanden.

Patch schaute sich um. Er stand auf einem kränklichen Baum, umgeben von Bergen und Ödland. Unter ihm begann eine Todesmaschine, sich zu bewegen, brüllte nach vorne und Patch bemerkte zu seinem Entsetzen, dass all die Maschinen, die sich nicht bewegten, nicht tot waren, sondern nur schliefen und dass sie jeden Moment zum Leben erwachen konnten.

Patch war am verhungern, aber schlimmer noch war, dass er so verängstigt war, dass er sich kaum bewegen konnte. Er wünschte sich von ganzem Herzen, dass er niemals das Ödland in Richtung der Berge überquert hätte. Er sah und roch hier keine Nahrung. Und er wagte es nicht, von diesem dürren Baum herabzusteigen. Unten gab es keine Sicherheit. Zwischen den Bergen und den Todesmaschinen unter ihm gab es einen leicht erhöhten Betonstreifen, in den die Bäume gepflanzt waren, aber für Patch war es völlig offensichtlich, dass die Todesmaschinen mit ihren fürchterlichen, rollenden Füßen leicht auch auf diesem schmalen Streifen herumwüten könnten, falls sie dieses denn wünschten. Nirgendwo und nichts war sicher in den Bergen.

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]


Switch to

Go to the home page.

Jon Evans is the award-winning author of the thrillers Invisible Armies, Dark Places (aka Trail of the Dead), and The Blood Price. See his web site rezendi.com.

Sign up for Jon's low-frequency mailing list:

Powered by Blogger.