A children's book for adults by Jon Evans
Aus dem amerikanischen Englisch von Sven Räbiger

18. Juli 2007

3. Patch und die Vögel

Es entsprach nicht ganz der Wahrheit, das Patch wusste, dass es Nahrung in den Bergen gab. Er war niemals in den Bergen gewesen. Soweit er wusste, war kein Eichhörnchen aus dem ganzen Mittleren Königreich jemals in den Bergen gewesen. Und zwar, weil sich zwischen dem Mittleren Königreich und den Bergen, ganz so wie ein Burggraben eine Festung umgibt, auf allen Seiten eine vernichtende Betoneinöde befand, so breit wie fünfzig Eichhörnchen Nase an Schwanz hintereinender gelegt, und entsetzliche Todesmaschinen rauschten den ganzen Tag und die ganze Nacht mit erschreckender Geschwindigkeit dieses Ödland hinauf- und hinunter. Darüber hinaus kreuzten oft Menschen und Hunde zwischen den Bergen und den Königreichen. Und manchmal waren die Hunde nicht angeleint. Ein Eichhörnchen musste wirklich verzweifelt sein, sich in dieses Ödland zu wagen.

Es war Toro, der Patch von der Nahrung in den Bergen erzählt hatte. Toro war Patchs Freund. Und das für sich allein genommen war schon außergewöhnlich.

Patch hatte schon immer mit Vögeln gesprochen. Der Kobel, in dem er aufgewachsen war – Silvers alter Kobel, bevor sie die Anführerin der Suchersippe wurde – befand sich nur ein paar Äste von einem Rotkehlchennest entfernt. Eines Tages früh im Sommer, als er noch ein Baby war, krabbelte Patch aus Silvers Kobel und in das Rotkehlchennest hinein, und er verbrachte einen ganzen Tag unter den Kücken, bevor Silver nach Hause zurückkehrte und ihn zurückbrachte. Die Rotkehlchenmutter war von Silvers tiefschürfenden Entschuldigungen nicht begeistert gewesen, und noch weniger amüsiert war sie gewesen, als Patch am nächsten Tag schon wieder in ihr Nest zurückkehrte.

Schließlich brachte Silver Patch bei, die Rotkehlchen in Frieden zu lassen, aber erst nachdem er gelernt hatte, die Vogelsprache zu sprechen. Die meisten Eichhörnchen im Mittleren Königreich konnten ein paar einfache Dinge in der Vogelsprache sagen und verstehen, aber Patch konnte sich tatsächlich unterhalten. So kam es, dass als eines Tages ein Bluejay im Sturzflug herabsauste und eine Eichel aus Patchs Pfoten stahl, dieser den Vogel verärgert anschrie, er solle sie zurückgeben, so dass der Dieb fasziniert mitten in der Luft umdrehte und sich auf einen Ast oberhalb von Patch setzte, um neugierig auf das wütende Eichhörnchen hinabzuschauen.

„Diebisches, federhirniges, nasenloses Falkenfutter!“ schrie Patch hinauf.

„Dummer, blinder, felliger Regenwurm!“ entgegnete der Bluejay und begann, an der Eichel herumzupicken.

„Deine Mutter hätte dein Ei auf einen Felsen fallen lassen sollen!“

„Ich muss sagen,“ sagte der Bluejay zwischen zwei Bissen, „du sprichst die Vogelsprache bemerkenswert gut für eine dicke, behaarte Schnecke mit einem räudigen Schwanz.“

„Dankeschön, du schimmelfedrige Luftratte. Jetzt gib mir meine Eichel zurück!“

Der Bluejay überlegte, während er die Hälfte der Eichel verspeiste. Und dann lies er ziemlich unglaublicherweise die andere Hälfte auf den Boden fallen.

„Um die Wahrheit zu sagen, ich war nicht sehr hungrig,“ sagte er. „ Ich genieße es einfach, Eichhörnchen Eicheln zu stehlen. Ich wusste nicht, dass du die Vogelsprache sprichst. Wie heißt du?“

„Mein Name ist Patch.“

„Mein Name ist Toro.“

Patch wusste nicht, was er sagen sollte. Er wurde noch nie zuvor einem Bluejay vorgestellt. Wie alle Eichhörnchen hielt er Bluejays, die erfolgreichsten Nussesser des Mittleren Königreiches, für entsetzliche Feinde. Patch sah sich um, ob andere Eichhörnchen ihn sich mit einem Bluejay unterhalten sahen. Glücklicherweise waren keine in der Nähe.

„Wenn du nach Eicheln suchst,“ sagte Toro, „der Wind hat heute stark hinter diesen Felsen da geweht und viele sind dort auf den Boden gefallen.“

Nach einem Moment sagte Patch steif „Dankeschön.“

„Jederzeit,“ sagte der Vogel sorglos, bevor er fort flog.

Dies war der Beginn ihrer geheimen Freundschaft. Sie musste geheim bleiben, da andere Eichhörnchen sich bei dem Gedanken daran, dass Patch eine Freundschaft zu Toro hatte, erzürnt hätten und andere Bluejays hätten Toro deswegen schief angeschaut. Aber die beiden hatten viel gemeinsam. Beide waren einsame Forscher. Und wenn sie einander in entfernten Winkeln des Mittleren Königreichs sahen, was oft geschah, hielten sie an und redeten miteinander. Es war während einer dieser Unterhaltungen im tiefsten Winter, als Toro Patch erzählte, was seine scharfen Bluejayaugen in den nahe gelegenen Bergen gesehen hatten.

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Jon Evans is the award-winning author of the thrillers Invisible Armies, Dark Places (aka Trail of the Dead), and The Blood Price. See his web site rezendi.com.

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