A children's book for adults by Jon Evans
Aus dem amerikanischen Englisch von Sven Räbiger

27. Juli 2007

12. Fresh Kills

Das Erste, was Patch von seiner neuen Heimat bemerkte, war ihre stinkende, erstickende Luft. Die Erde selbst schien sauber genug zu sein. Und das hohe goldene Gras schien zwar seltsam, aber nicht unnatürlich zu sein. Aber die Luft war so ranzig und sauer, dass jeder Atemzug die Gefahr barg, ihn krank zu machen. Als sie heran flogen, hatte Patch gesehen, dass dieser Hügel von Streifen aus Ödland umgeben war und er konnte das entfernte Gebrüll ganzer Herden von Todesmaschinen hören. Aber diese Luft roch nicht nach Todesmaschinen. Sie roch nach dem Tod persönlich.

Patch wusste schon nach ein paar Atemzügen, dass er diesen vergifteten Platz sofort verlassen musste. Aber er konnte nicht sehen wohin. Das goldene Gras, welches ihn umgab, ragte höher in den Himmel als die meisten Büsche des Mittleren Königreiches und es war viel zu dünn und zu zart, als das ein Eichhörnchen daran hochklettern hätte können. Alles, was er in jede Richtung sehen konnte, war eine Mauer aus goldenem Schilf.

Das Brennen in seiner Lunge von der ranzigen Luft wurde immer schlimmer, bis er schließlich an jedem Atemzug halb erstickte. Patch begann zu rennen, er huschte durchs trockene Gras, nur um zu entfliehen – aber da war nichts, vor dem es zu flüchten galt, außer vor der alles einhüllenden Luft, und vor der schien es kein Entkommen zu geben. Patch geriet in Panik; er rannte im Kreis; sein Atem wurde schneller und röchelnder.

„Silver,“ keuchte Patch. „Tuft, Brighteyes, Twitch, Sniffer, Irgendjemand, Hilfe!”

Aber da war niemand, der ihm helfen konnte. Seine Familie und Freunde waren auf der anderen Seite der Welt, sie konnten genau so gut für immer fort sein.

Patch fing an, benommen zu werden. Er begriff, dass er bald sterben würde, falls er nicht aus dieser giftigen Luft heraus kam; wenn er seine Augen auf diesem goldenen Hügel schließen würde, um zu schlafen, würde er nie wieder aufwachen.

„Eidbrecher,“ würgte Patch lauthals heraus, als er wütend an Karmerruk dachte. Der Bussard hatte beim Blut seiner Nestlinge geschworen, Patch nicht zu töten und dann hatte er ihn auf diese todbringende Insel geschleppt. Patch hätte versuchen sollen, sich herauszuwinden, während sie sich über dem großen Wasser befanden. Er verfluchte sich dafür, dass er dies nicht getan hatte. Aber die Insel hatte nicht todbringend ausgesehen. Tatsächlich hatten große Teile von ihr grün und ansprechend ausgesehen. Wenn Patch nur gewusst hätte, wie man vor der erstickenden Luft und aus diesem Labyrinth aus goldenem Gras flüchten konnte.

Dann fiel es Patch ein: Er wusste, welchen Weg er nehmen musste. Er hatte ein Gedächtnis.

Die fantastischen Anblicke, die er von hoch oben gesehen hatte, waren so wunderbar gewesen, dass er sie sich in seinem Gedächtnisbuch eingeprägt hatte. Er wusste genau, wie diese Insel von oben aussah. Er wusste, dass das grüne Herz der Insel östlich dieser vergifteten Hügel lag. Und während das goldene Gras um ihn herum fast alles verdeckte, konnte es doch nicht die Richtung der sinkenden Sonne verbergen.

Patch rannte von der Sonne weg, er rannte ostwärts, während er versuchte, nicht tief einzuatmen. Bald wurde er schwach und musste zu bloßem Hüpfen verlangsamen. Patch wusste, dass er kurz vor einem Zusammenbruch stand – es war auch ohne die faulige Luft ein ziemlich erschöpfender Tag gewesen – aber er lies es nicht zu, anzuhalten. Er wusste, wenn er jetzt eine Pause machte, würde er nie mehr rennen.

Die tödlichen goldenen Hügel schienen endlos zu sein. Jedes Mal, wenn Patch sich seinen Weg auf einen der Gipfel gekämpft hatte, sah er einen weitern vor sich aufsteigen. Seine Lungen und Muskeln schmerzten, während er rannte und seine Krallenwunden brannten, als würden sich Karmerruks Klauen immer noch in Patchs Fleisch bohren. Er verlor jegliches Zeitgefühl. Er begann sich zu fühlen, als wäre er schon immer durch diese Hügel gerannt, versuchend, diese dicke, übel riechende Luft zu atmen. Seine Beine zitterten vor Erschöpfung, jedes Ausatmen war ein Würgen, aber seine Angst trieb ihn an. Angst – und ein schwaches Gefühl, dass die Luft ein wenig klarer wurde.

Und dann, als er abermals einen Hügel herabstieg, sah er glänzendes Metall vor sich. Patch war noch nie so froh gewesen, die geraden Linien von etwas menschengemachtem zu sehen. Es war ein Drahtzaun. Hinter ihm erstreckte sich eine Betonebene, aus der mehrere Hügel sprossen, dahinter polterten Herden von Todesmaschinen und hinter ihnen sah und roch Patch den Wind, blaues Wasser, grüne Bäume und frische Luft.

Patch kletterte den Zaun hinauf und wieder hinunter und ohne zu zögern, er hatte keine Kraft, um zu zögern, überquerte er ein Gebiet mit unebenen, weißgelben Steinen und rannte an mehreren schlafenden Todesmaschinen vorbei hinaus auf den Beton. Es waren keine Menschen in Sichtweite. Er hüpfte geradewegs über die Betonebene, dann einen weiteren Zaun hinauf und hinab, durch noch mehr goldenes Gras, bis nur noch ein weiteres Hindernis zwischen ihm und den grünen Bäumen stand.

Aber dieses Hindernis schien unüberwindbar zu sein. Patch stand vor einem Streifen Ödland, welcher sogar noch breiter als jener, der das Zentrale Königreich umgab, zu sein schien. Endlose Horden von Todesmaschinen rasten diesen Streifen in beide Richtungen hinab. Ihr grässliches, mahlendes Gebrüll war ohrenbetäubend und die dreckige Luft, die sie ausrülpsten, war fast so schlimm wie die in den goldenen Hügeln. Es gab kein Muster der Bewegungen dieser Todesmaschinen, da waren keine hängenden Lichter, an denen sie für eine gewisse Zeit angehalten hätten und sie schienen unendlich viele zu sein.

Patch wollte vor lauter Frust heulen. Er war krank und verwundet und in seinem Kopf drehte sich alles schmerzhaft davon, dass er so lange Zeit schlechte Luft eingeatmet hatte. Die Luft war hier besser als die in den Hügeln, atembar zwar, aber sie schmerzte immer noch in seinem Hals und er hätte am liebsten gewürgt. Alles was er wollte, war die grünen Bäume zu erreichen, die er durch die Lücken zwischen den Todesmaschinen sehen konnte. Sie waren so nah. Aber die Todesmaschinen nahmen kein Ende, es gab keine Möglichkeit, hinüber zu gelangen. Und die Sonne ging unter und er war noch nie zuvor in seinem Leben so müde gewesen.

Schließlich zog sich Patch ins Gras zurück, machte es sich in einer Art Kuhle gemütlich und versuchte zu schlafen. Er hatte noch nie zuvor auf der Erde geschlafen. Patch dacht sehnsüchtig daran, wo er letzte Nacht geschlafen hatte, an seinen eigenen warmen Kobel im Mittleren Königreich, welcher mit Gräsern und Blättern und Zeitungen ausgelegt war. Patchs letzter Gedanken, bevor er seiner Erschöpfung erlaubte, ihn in die dunkle Umarmung des Schlafes fort zu tragen, war, dass er seinen eigenen Kobel nie wieder sehen würde.

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Jon Evans is the award-winning author of the thrillers Invisible Armies, Dark Places (aka Trail of the Dead), and The Blood Price. See his web site rezendi.com.

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