A children's book for adults by Jon Evans
Aus dem amerikanischen Englisch von Sven Räbiger

20. September 2007

67. Zum Tor

„Das ist Wahnsinn,“ sagte Zelina, „du bist verletzt Patch, du bist erschöpft, du hattest eine Wunde, du kannst nicht richtig denken, du musst schlafen! Warte zumindest bis zum Sonnenaufgang!“

„Ich kann nicht. Bei Sonnenaufgang wird es zu spät sein.“

„Nein Patch, tu das nicht. Das ist dunkelmondiger Wahnsinn. Du kannst sie nicht retten.“

„Vielleicht nicht,“ sagte er, „aber ich werde es versuchen.“

„Wie? Wo wirst du hingehen?“

„An einen Ort, den ich kenne.“

„Selbst wenn du sie findest, wenn du eigenhändig alle Ratten im Unteren Königreich tötest und Lord Snout und den Unteren König dazu, sie hat die Schwarzblutkrankheit, wie kannst du sie retten? Du wirst niemals in der Lage dazu sein, sie an die Oberfläche zu bringen, damit sie geheilt werden kann.“

Patch schüttelte seinen Kopf. Er wusste, dass Zelina ihn nur beschützen wollte, aber sie verstand nicht. Dies war nicht die Zeit für vernünftige Fragen und Antworten, dies war die Zeit des Handelns.

„Es gibt eine Möglichkeit,“ sagte White.

Alle Augen richteten sich auf sie.

„Falls du sie findest, gibt es eine Möglichkeit, um sie zu retten.“

„Wie?“

White atmete tief ein. „Ich werde es dir zeigen. Ich werde mit dir kommen.“

Stille ergriff die zuschauenden Katzen und Eichhörnchen.

„Du weißt, dass ich nicht mit dir kommen kann,“ sagte Zelina leise zu Patch. „Ich bin eine Königin. Ich habe meine Pflichten an meinem Volk. Ich kann es nicht im Stich lassen, um dich bei deinem Wahnsinn zu begleiten.“

Er nickte.

„Bist du wirklich entschlossen dazu, das zu tun?“

Er nickte. Einen Moment später tat dies auch White.

„Sehr schön.“ Sie seufzte und dann sagte sie mit schallender Stimme: „Alabast, geh mit ihnen bis zur Unterwelt, gib ihnen Sicherheit, solange der Mond auf sie herablächelt.“

Alabast nickte kurz, dann drehte er sich zu Patch um und sagte einfach: „Wohin?“

Patch sagte: „Südwärts.“

Er zögerte bevor er aufbrach, dann drehte er sich zu Zelina um.

„Für den Fall, dass ich nicht zurück komme,“ sagte er, „geh zur Steinspitze. Ich denke, du wirst dort etwas sehen.“

Dann drehte Patch sich um und begann, in den Süden zu rennen, in Richtung der Großen See, er bewegte sich mit einem atemberaubenden Tempo, und White und Alabast folgten ihm. Sie rannten durch die Nacht. Müdigkeit überkam Patch wie eine schwere Wolke und bald fühlte er sich, als wären seine Knochen schwach geworden, er musste immer längere und längere Pausen einlegen, um seine Kräfte wiederzugewinnen, aber die ganze Nacht hindurch weigerte er sich, anzuhalten und zu schlafen.

„Etwas folgt uns,“ sagte Alabast leise, als die drei in dem bewaldeten Durchgang östlich der Großen See Rast machten.

Patch blinzelte. „Was?“

„Ich weiß es nicht. Es bleibt vor dem Wind und weit entfernt. Es ist größer als eine Ratte. Und es muss entweder die Augen einer Katze oder die Nase eines Hundes besitzen, um uns auf so große Entfernung verfolgen zu können.“

Patch dachte an Sniffer, den Erzverräter und Architekten dieses ganzen verheerenden Krieges.

„Vielleicht hat die Königin eine weitere Katze geschickt, um auf uns aufzupassen?“ fragte Patch hoffnungsvoll.

Alabast schüttelte seinen Kopf. „Das ist nicht ihre Art.“ Er sah Patch an. „Ich kann versuchen, zu gehen und es herauszufinden.“

„Nein,“ sagte Patch. Eine andere Möglichkeit war ihm eingefallen. Vielleicht war es Coyote.

Sie bewegten sich weiter vorwärts; sogar nachdem der Mond hinter dem Horizont versunken war und die Dunkelheit der Nacht rein und absolut war, folgten sie Alabasts Nachtaugen um die Große See herum und hin zu der Böschung, welche an einer Seite aus alten Ziegeln gemauert war. Einmal angekommen, brauchte Patch nicht nach dem Loch zu suchen. Sein Geruch nach eiternder, fremdartiger Fäulnis war selbst inmitten des einhüllenden Rattengestanks unverkennbar.

„Was ist das für ein Geruch?“ flüsterte Alabast, und zum ersten Mal hörte Patch Furcht in der Stimme des großen, weißen Katers und sein Fell begann, sich wie Kiefernnadeln zu sträuben.

White sagte: „Das Untere Königreich.“

Alabast starrte den Zugang an, als würde die Dunkelheit selbst möglicherweise herausspringen und angreifen. Ein paar Herzschläge der Stille vergingen. Dann hörte Patch ein tippelndes Geräusch.

„Etwas bewegt sich dort drin,“ flüsterte White.

„Er wird bewacht!“ sagte Alabast. „Zieht euch zurück, jetzt!“

Aber er war zu spät dran. Während er sprach, strömten zwanzig Ratten aus der völligen Dunkelheit des Zugangs hervor und griffen die zwei Eichhörnchen und den Kater an. Es war gerade noch genug Zeit bevor die Schlacht begann, dass Patch feststellen konnte, dass es trotz Alabasts Stärke und Wildheit viel zu viele Ratten waren.

Dann sprang etwas großes und geschmeidiges und schnelles vom Gipfel der Böschung herunter und mitten in die Ratten hinein. Patch, der von der unmittelbaren Bedrohung zu eingenommen war, um sich zu fragen, was es war, versuchte einer angreifenden Ratte auszuweichen, aber er war zu langsam. Er stolperte und fiel hin, und schon waren zwei Ratten auf ihm –aber dann wurden sie beide durch die langen, scharfen Krallen einer peitschenden Pfote hinfort gefegt. Patch kämpfte sich auf die Beine und starrte entgeistert, während sein unerwarteter Retter und Alabast gegen die Rattenwachen kämpften, bis ein Dutzend von ihnen tot und der Rest geflohen war.

„Talis!“ keuchte er.

Und tatsächlich war es derselbe Fuchs, den er im Verborgenen Königreich getroffen hatte, welcher ihn und Zelina zuerst in Schlingen gefangen hatte, und ihnen dann half, aus den Metallkäfigen zu entkommen. Aber Talis sah nun verändert aus. Er war eingefallen und vernarbt, und er sah Patch mit wilden Augen, die am Rande des Wahnsinns standen, an.

„Patch, Sohn von Silver,“ sagte er mit kratziger Stimme. „Oh, wie ich mich nach deinem Tod sehne.“

Alabast stellte sich augenblicklich zwischen den Fuchs und das Eichhörnchen.

Talis lächelte grimmig. „Du bist mutig genug, Katze. Du würdest nicht länger als ein paar Atemzüge durchhalten, falls ich gegen dich kämpfen dürfte. Verschwende hiermit nicht dein Leben.“

„Du darfst nicht passieren,“ sagte Alabast leise.

„Oh bitte. Sei nicht so melodramatisch. Es ist egal. Ich sehne mich nach seinem Tod, aber ich darf weder gegen dich noch ihn tätlich werden. Ich bin darauf mondgeschworen, ihn zu beschützen und niemals mehr eine Katze oder ein Eichhörnchen anzugreifen.“ Er drehte seinen starrenden Blick Patch zu. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist. Ich habe jetzt schon einen ganzen Mondzyklus lang nach dir gesucht und während jedem Tag und jeder Nacht, jedem Atemzug und jedem Herzschlag, brannte dieser Eid in mir, als hätte ich eine lebende Flamme geschluckt. Und wenn du in Gefahr bist, wird es schlimmer. Letzte Nacht fühlte es sich an, als würde die Sonne selbst in mir drin brennen. Ich betete für deinen Tod, während ich rannte, um dich zu finden und zu retten. Aber der Mond lacht mich aus. Ich kam zu spät, aber du hast es trotzdem irgendwie geschafft, zu überleben. Du weißt nicht, was ich durchgemacht habe, was für Opfer ich um dieses sonnenverfluchten Eides wegen gebracht habe. Ich hasse dich von ganzer Seele, Patch, Sohn von Silver. Bevor ich dich getroffen habe, lebte ich ein Leben voller Gesang und Dichtkunst, schlürfte jeden Abend warmes Blut. Jetzt besteht mein Leben nur noch aus Asche und abgenagten Knochen. Jetzt ist alles, was von mir übrig bleibt, Wahnsinn.“

Patch wusste nicht, was er sagen sollte.

„Ich habe geschworen, dich und die Katze zu beschützen. Nun hasse ich euch beide, meine Zwillingsfolterknechte. Wie kann ich beide Schwüre erfüllen, wenn ihr nicht mehr länger zusammen seid? Es reißt mich auseinander. Ich kann nicht einmal mehr schlafen, ohne von euch beiden zu träumen. Ihr habt aus mir ein verrücktes und verhungerndes Ding gemacht. Du bist grausam, Patch, Sohn von Silver, du bist eine grausame und bösartige Kreatur.“


„Bin ich nicht!“ protestierte Patch. „Ich wusste es nicht! Es tut mir leid! Ich ließ dich nur schwören, da du mich andernfalls gefressen hättest!“

„Du hättest mich lieber umbringen lassen sollen. Ich hätte meinem Leben schon vor langer Zeit ein Ende gesetzt, aber das würde ebenfalls den Schwur brechen.“

„Du hättest nicht schwören sollen,“ sagte Alabast unerwartet. „Ein Schwur auf den Mond ist nichts, mit dem man leichtfertig umgeht.“

„Denkst du, das wüsste ich nicht?“ knurrte Talis. „Denkst du, ich hätte nicht darüber nachgegrübelt und werde über nichts anderes mehr für alle meine Tage bis zum letzten Vergessen nachgrübeln?“

„Es tut mir leid,“ sagte Patch. „Ich danke dir dafür, dass du uns gerettet hast. Ich wünschte, ich wüsste einen Weg, um dich zu entbinden. Aber ich muss gehen.“

„Wohin gehen?“

„Ins Untere Königreich.“

Talis machte einen Katzenbuckel und fauchte: „Ich könnte dich aufhalten. Ich könnte dich packen und an einen sicheren Ort tragen und dich dort für immer festhalten, dich und auch diese bösartige Katzenkönigin. Das würde dich schützen, oder nicht? Ich könnte euch beide in Sicherheit und Gefangenschaft halten bis ihr sterbt. So würde ich meinen Eid erfüllen.“

Patch versuchte, zum Zugang zu gehen, aber Talis sprang, um ihn abzufangen und stand zwischen ihm und der seufzenden Dunkelheit. Alabast wurde angespannt, bereit dazu, sich auf ihn zu stürzen.

„Nein,“ sagte Patch. Er drehte sich zu Talis um. „Du wärst nicht fähig, das zu tun. Nicht, ohne uns zu verletzen. Das würde deinen Eid brechen.“

„Ich bin ein Fuchs. Ich bin schlau. Ich werde einen Weg finden. Ich werde dich nicht von mir weggehen lassen, Patch. Du kannst das nicht verstehen. Sogar der Gedanke daran ist wie Gift zu schlucken.“

Patch sagte: „Wenn ich sterbe, stirbt der Eid.“

Talis zögerte. „Stimmt.“

„Ich gehe ins Untere Königreich. Und das Loch ist zu eng für dich, so dass du mir unmöglich folgen kannst.“

„Das Untere Königreich,“ sagte Talis, und seine brennenden Augen wurden für einen Augenblick nachdenklich. „Warum?“

„Das ist meine Sache,“ sagte Patch.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass du praktisch keine Chance hast, zu überleben?“

Patch seufzte. „Ich fürchte nein.“

Talis dachte nach. Dann trat er auf die Seite. „Es scheint, als wäre mir eine gewisse Interpretationsfreiheit bei der Erfüllung des Schwurs gestattet…Gehe, Patch, Sohn von Silver. Gehe und wisse, dass ich mit jedem Herzschlag und jedem Atemzug nach deinem Tod brenne und für ihn bete.“

Patch schaute zu White. Sie zitterte, aber sie nickte. Er sah zu Alabast hoch.

„Ich passe da genauso wenig hinein,“ sagte der große, weiße Kater. „Ich würde lieber gegen tausend Ratten kämpfen, als gegen was auch immer sich hinter diesem Tor befindet. Tu es nicht, Patch. Geh nicht. Du wirst niemals zurückkehren.“

„Sag Zelina ‚Auf Wiedersehen’ von mir,“ sagte Patch.

Dann marschierte er durch den Zugang und ins Untere Königreich, und White folgte ihm.


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Jon Evans is the award-winning author of the thrillers Invisible Armies, Dark Places (aka Trail of the Dead), and The Blood Price. See his web site rezendi.com.

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